Klemperer, Viktor
Art, mit Gasherd u. elektrischer Kochstelle, mit Schläuchen u. Leitungen. Zwischen alledem hausen wir; morgens wird unser armseliges Gepäck heraufgeschleppt ins Nachtdienstzimmer (wo E. den Mittagsschlaf auf Watte- u. Mullballen hält), Abends wieder herunter. In einem Schränkchen des Priv.-Kontors stehen ein paar Tassen u. Teller, unsere Esswaren, d.h. das Brod u. die Winzigkeiten an Wurst u. Käse kommen in den famosen Keller mit den Benzinflaschen. E. räumt ab u. um, kocht – meist versagt das Gas, dann dauert es elektrisch endlos – macht alles. Ohne sie, die immer wieder neue Einfälle hat u. weiterkämpft, wäre ich längst am Ende. Ich lasse mich nur noch treiben.
Heute wird die Apotheke um 2 Uhr geschlossen. Von da an bis Montag früh sollen wir unten hausen. Schön u. gut, aber die Zeit über fehlt es dann an Zentralheizung unten, u. wir sind auf das elektrische Öfchen des Contors angewiesen.
Todesgefahr – Hunger – Kälte ist das unablässige A u. O. dieser Falkensteiner Tage.
Gegen 11 h . * E. ist jetzt zum Rathaus; in einer Stunde werde ich etwas ruhiger oder etwas bedrückter sein, beides wird nicht vorhalten. –
Blick aus dem Fenster. Vor mir die breite Ölsnitzer Str. Die Marienapotheke liegt im Eckhaus am Adolf Hitler (già Carola-)Platz, den ich zur Linken habe. Die Ölsnitzerstr führt stadtwärts zur Hauptstr. u. zum Rathausplatz, an dessen Ecke wiederum im ADCA-Gebäude * Sch s Privatwohnung liegt. Neben ihr das Café Meyer. Parallel zur Hauptstr. gibt es eine zweite Längsstraße, die auch hier am Hitlerplatz einmündet, u. damit scheint mir die ganze Breite des schmalen Nestes bezeichnet zu sein. Denn eine steile Nebenstraße, die rechtwinklig auf unser Haus zuführt – da rodelte gestern die Jugend – ist nur wenige Häuser lang u. führt unmittelbar ins Freie. Vor dem Haus ist ständiger Verkehr. Eben zog ein großer Treck zur Stadt hinaus, Planwagen, drei drei Pferde davor, Kutschen, zwei aneinandergebunden, ländliches Volk zu Fuß hinterher – wie wir das von Piskowitz her kennen. Rechts von uns dürfte die Ölsnitzer Str. wohl auch rasch ein Ende haben; wir kennen sie nur bis zum nahen Schützenhaus, u. Schützenhäuser liegen doch immer schon halb im Freien. Eine größere Tiefe scheint das Bahnhofsviertel am anderen Ende des Orts zu besitzen. –
Die Volkssturmbinde , die ich auf der Straße an verschiedenen Uniformen sehe, ist schwarz mit schmalen roten Rändern u. weißer Aufschrift.
Nachm. gegen 16 h. Privatcontor Die Meldescheine wurden abgenomen, einer blieb uns, einer bleibt im Rathaus, einer komt aufs Landratsamt nach Auerbach. Von Zuzugsgenehmigung war nicht mehr die Rede, vom Arbeitsamt auch nicht. Möglich also daß die Zettel unter tausend anderen versinken, daß ich eine Weile Ruhe habe – Lebensmittelmarken gibt es erst wieder in 5 Wochen – möglich, aber natürlich nicht sicher: die Leuchtkugel ist erloschen – wann komt der nächste Flieger? – Mittagbrod bei Meyer. Der schlimmste Augenblick ist der nach dem letzten Bissen; man möchte so unendlich gern weiteressen, man merkt eigentlich erst, wie hungrig man ist, die paar Häppchen haben nur an- u. aufgeregt. Eine Weile später ist dann das ständige quälende aber immerhin erträgliche Halbhungergefühl wieder [da]. (Cf Dauerzahnschmerz u. Anfälle von Wurzeltoben). Durch den nassen Matsch auf Einkaufswegen zurück. Der Einkauf im Wesentlichen ein 4 = -Brod, das für uns beide 4 Tage reichen muß. – Der * Wirt im Café Meyer fällt über jeden her: Vor allem die Kartoffelmarken, sie sind die wichtigsten! Er sagte heute, das Restaurantessen werde bald ganz aufhören u. durch allgemeine Zuteilung (Feldküche) ersetzt werden. Uns wäre das durchaus recht – dem Volk ist der Gedanke ein Greuel, wie wir immer wieder bei Jud u. Christ beobachtet haben. – Seit etwa zwei Uhr sind wir allein in der Apotheke. Wir sind ganz hier heruntergezogen, ich habe ein Stückchen aus dem * * Schillerroman vorgelesen; jetzt schläft * E. – Gegen fünf sollen wir bei * * Sch s sein u. unser Abendbrod mitbringen.
Man wird bescheiden: hier sitzt es sich warm, heute wenigstens noch, wo die Dampfheizung nachwirkt –, u. das ist schon Wohltat. Die akute Lebensgefahr ist ein wenig latenter geworden, u. das ist auch schon Wohltat. Bleibt nur der Hunger; das Halluzinieren von Plinskus. –
Sonntag M 11 März 45 Falkenstein
Vorm. 9 h. Allein in der verschlossenen Apotheke . Wir machten uns gestern fertig,
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