Klemperer, Viktor
scheußlich drückenden Schuhen, die mir Dressel in Pirna Pirna geschenkt hat; die ganz zerrissenen Rindlederschuhe lehnt er ab: da sei Paar zuständig.
Wir bei der * Gruber wohnen im Nordlappen (dem geringeren) von Unterbernbach, u. das Lieblingswäldchen u. darüber hinaus die Dörfer Halsbach u. Hörzhausen liegen nördlich von uns. Nach Süden hin kennen wir Dörfer u. Straßen bis Aichach, etwa 10 km. weit. Es führt ein direkter Weg dorthin der Bahnstrecke ziemlich angeschmiegt über Radersdorf u. Oberbernbach u. ein im Bogen nach Osten schwingender über Paar u. das große Kühbach mit seinem ausgedehnten Schloß, ursprünglich einem Benediktinerinnen-Kloster hinter schönem hohem Eisengitter, seiner großen Kirche u. dem wie auf einem Tablett aus einem Baukasten regelmäßig aufgebauten Friedhof mit der kleinen modellartigen Kapelle. Noch ein paar kleinere Dörfer liegen an diesen Wegen: auffallend durch Namen u. ein fast schloßartiges Herrschaftsgebäude ist Unterwittelsbach; aus dem Wald dahinter ragt das Gestänge eines Holzturmbaus, den wir erst für den [von] Schweitenkirchen hielten. (Dort, es kann nur etwa 15 km östlich von uns liegen, nimmt man einen solchen Turm eben allmählich auseinander, um ihn zu verfeuern.) Dieser Richtungsturm aber steht in Oberwittelsbach, von in dem das Stamschloß der Wittelsbacher gelegen sein soll. Die Landschaft, überall das gleiche Thema variierend, ist belebt durch einen kleinen Fluß, die Paar, u. hier bei Unterbernbach noch durch einen Bach, den wir zwischen den beiden Dorflappen auf kleiner Steinbrücke überschreiten. Das viele Wiesenland ist weithin sumpfig. Zu Fuß u. zu Wagen haben wir dies Gelände mehrfach bei allen Tageszeiten durchwandert u. durchfahren. Aber wohl ist uns nur in unserm Waldstück mit seinem vielen Wechsel zwischen Hochwald u. Schonung u. weiter Wiesen- u. Acker- u. Sumpflichtung, mit seinen weiten Durchblicken. Einige Stellen erinnern an märkische Heide, einige an Piskowitz – an Falkenstein nichts. Dort sind Felsen, u. dort sind Industriedörfer – hier ist alles weich u. alles rein dörflich.
Am zweitern Unterbernbachtage fuhren wir morgens mit dem Milchauto über Paar u. Kühbach nach Aichach . An jedem Ort Ein- u. Ausladen; die großen Kannen werden in Handwagen, auch auf Pferdewagen zu den Bühnen herangebracht – aber Pferde sind hier Seltenheit, das Ochsengespann dominiert, ist auf dem Felde durchaus, auf den Landstraßen beinahe allein herrschend, durchweg gelb u. weißes Rindvieh übrigens –, die Butter wird in schweren Holzkisten ausgeteilt. Das mitfahrende Publikum sitzt auf den Kannen u. steigt ab, wenn ein größeres Einladen oder Umstellen vor sich geht. Ganz jenseits von Aichach (von uns aus) liegt eine neu errichtete große Molkerei – so neu, daß noch Baumaterial herumliegt, mit großer Laderampe. Hier ist jetzt gewissermaßen der Centralbahnhof für den Aichacher Umgebungsverkehr. In Aichach ließ ich mir im Verbandzimer des Lazaretts von einer älteren Schwester, die mehreren Soldaten die Verbände wechselte, den Daumen verarzten. – (er ist noch immer nicht gut). Wir kauften Brod, Wurst, Tintetabletten – (Tinte gibt es nicht mehr), eine Stahlfeder; die gutmütige * Wirtin der Conditorei Mayr schenkte * E. etwas Nähgarn, wir aßen bei Ziegler – da war es schon Zeit für die Molkerei, von der nach 13 h ein Auto bis Kühbach unsere Strecke fuhr. Von da aus wanderten wir dann mühselig zu Fuß zurück.
An diesem Abend also, Sonnabend d. 14. 4., siedelten wir in unser eigentliches Quartier zur * Gruberin über.
Von * Flammenspeck, mit dem wir, wie gesagt, ständig in enger Berührung bleiben – die schönen Dampfnudeln heute Mittag! –, will ich noch nachholen: immer haben sie für den u. jenen zu sorgen. Während unserer zweiten Nacht dort hatten sie zwei ukrainische Arbeiter im Stall u. in Kost, die aus Nürnberg zu neuem Einsatz irgend wohin beordert waren. Inzwischen haben sie reichliche Militär-Einquartierung bekomen .. Der Mann Bauer fragte mich einmal, ob die Russen wirklich so grausam seien, ob Amerika, ob das amerikanische Judentum wirklich usw., oder ob Hetze im Spiel sei. Ich klärte sehr behutsam auf: die Stahlindustrie liege nicht in jüdischen Händen, u. übrigens mache man im Frieden bessere u. dauerhaftere Geschäfte als im Kriege .. Der junge * Schwiegersohn, Asam, zum 5. Mal verwundet, 24 Jahre alt, absolut defaitistisch, im Haus seiner * Mutter wohnend, die noch nicht übergeben hat,
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