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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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der Spitze. (Gestern schenkte uns ein Soldat zwei Cigaretten.) Die Stadt hatte Besatzung bekomen, wimmelte von Soldaten, getarnten Heeresautos, -Camions, Motorrädern. Um ¾ 10 schon kam Vollalarm u. dauerte ohne Unterbrechung bis ¾ 4. In dieser Zeit sind alle Läden u. Restaurants geschlossen. Wir waren früh mit dem Milchauto über Kühbach gekomen, hatten im Bahnhofsrestaurant gefrühstückt (zum Glück 3 mitgenomene Eier kochen lassen , unglücklicherweise den Rest meines Süßstoffs liegen lassen, wir saßen u. standen nun all die Zeit untäg u. ungegessen im Keller u. Hausflur des Landratsamtes herum. Wenigstens fast all die Zeit. Als es gegen 3 ruhig wurde – vorher immer wieder überfliegende Geschwader – gingen wir zum Ziegler hinüber. Man durfte dort vor der Entwarnung kein Essen ausgeben, aber wir waren doch wenigstens unmittelbar an der Quelle. Nach dem Essen konnten wir dann noch ein Brod einkaufen – die ganze Ernte dieses Tages! –, dann wanderten wir sehr ermüdet den langen direkten Weg zurück. Auf der Hin fahrt hatten wir Tiefflieger gefürchtet, auf dem Rück marsch waren sie uns ebenso unheimlich, da wir uns meist dicht am Bahndam befanden. Das Surren über uns nahm kein Ende. Wir nahmen uns vor, so selten als möglich, möglichst: nie mehr, nach Aichach zu fahren. Brod etc. soll es auch in Kühbach geben. – Daheim (was wir jetzt so nennen) fanden wir auch viel Militär vor: teils gruppiert man Zurückgezogenes u. Abgekämpftes hier um, teils scheint man hier eine Frontlinie anzulegen. (Überall Löcher für die Panzerfäuste, bei Oberbernbach ein Vierling der Flak[.]) –
    Das Übrige dieser letzten Woche brauche ich nicht im Einzelnen notieren. Täglich die Leiden u. auch Freuden (nahrhaften Freuden mit Käs u. Eiern) des Essens, täglich u. nächtlich die Alarme, die sich von hier aus mit relativer Ruhe hören lassen, das tiefe Summen der Geschwader, die oft sichtbar in Gruppen zu 6, zu 10, zu mehr Einheiten, Staffel um Staffel in allen Richtungen fliegen, meist etliche tausend Meter hoch als Silberfischchen, heute vormittag unverschämt tief groß u. grau unter grauer Wolkendecke; täglich u. nächtlich das ferne Krachen von Bombeneinschlägen, das ganz ferne Rollen der Front, das seltsame Klirren u. Schüttern der Fenster, das Knattern eines Mg s oder eines Flakgeschützes, die einzelne undefinierbare Explosion. Und dabei sitzen wir im Walde, in Sicherheitsgefühl, u. ich lese den * Großtyrannen vor. Heute war die Fliegerei den ganzen Vormittag über eine unaufhörliche; nachher hörten wir, ein Tiefflieger habe bei Aichach zwei Mädchen u. ein Ochsengespann erschossen. (Die Angst vor dem Tiefflieger steckt jetzt in allen Bauern hier, die Feldbestellung leidet ernstlich darunter.) – In der Nacht zum 17. 4. sahen wir über der Strecke einen Christbaum (das Leuchtkugelgebilde sieht wirklich so aus.). –
    * E. sagt: wir haben Pech; nach dem letzten Bericht muß Falkenstein schon in amerikanischen Händen sein. Und wir sind in Oberbayern. –
    Wir hatten tagelang, eigentlich all die Unterbernbacher Zeit, gutes Wetter, jedenfalls regenfreies. Mittags Hitze, sonst Kühle, ja Kälte. Heute zum erstenmal starke Bewölkung, Gewitterwind u. eben ein Regenguß. –
    Wir haben hier Bier trinken u. schätzen gelernt u. fragen täglich im Gasthaus an[,] ob ang zapft wird. Es geschieht nicht oft. Wir leiden mehr unter Getränk-als Essmangel.
    Mich quält wieder die Angst, Pirna könne zerstört sein; es würde für mich die Zerstörung aller Arbeit seit 1933 bedeuten; nichts, buchstäblich nichts könnte ich reconstruieren, alles liegt mir fern. Dagegen, vielleicht zu Unrecht, fürchte ich kaum noch Fahndung aus Dresden.
     

 
    Sonntag 22. April 45 Unterbernbach .
     
    Vorm . Gegen Abend gab es gestern einen Gewitterguß, aber wir kamen in Regenpause zum * Flamensbeck (sic – wohl Ziegelbäcker bedeutend, sagt die Lehrerin), u. bei Bratkartoffeln u. einer Tasse heißer Milch sah ich in der Aichacher Ztg einen Auszug aus * Goebbels Geburtstagsrede. Der entscheidende Satz: Wir werden doch nicht nachgeben, jetzt wo die perverse Koalition der Feinde am Zerbrechen ist. Also damit (u. immer wieder über die Spannungen der San Franciskoconferenz u. der Polenfrage 1 berichtend) will man das Volk bei der Stange halten u. immer noch an Sieg glauben machen. Daß sich der junge * Asam darüber entrüstete, versteht sich. Aber auch Flamensbeck ging sehr aus sich heraus. Neue Waffe, Offensive, Wende –

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