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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Allzuvieles wirkt erschwerend. 1) die Geldnot. Die furchtbaren Erdarbeiten, das Gestein, das tiefe Wegausschachten, das Schuttabfahr en en haben sehr viel mehr gekostet als vorauszusehen. Meine Reserven sind ganz erschöpft, u. noch ist nichts ganz fertig, eine unendliche Menge Schutt (Dreck ist der Fachausdruck für steinige Erde) türmt sich im verwüsteten Garten, der Verandabau stockt. Ich fange an mich mit dem recht verzweifelten Gedanken vertraut zu machen, auch die letzten möglichen 1 000 Mark aus der Lebensversicherung zu ziehen. Dann kämen wir wohl mit dem Bau durch u. hätten im Somer keine Not, stünden aber im Januar 37 einigermaßen vor dem Nichts. Und wie soll ich noch auf eine Änderung der Lage rechnen, nach dem Plebiscit 4 von vorgestern, den 99 % für Hitler? 2) u. dies wurde mir gerade am Sonntag aufs peinlichste eingehämert: darf ein jüdischer Professor ein Auto haben, irgendwie auffallen? In allen Gärten rings um uns wurde gearbeitet, Spaziergänger u. Wähler strömten vorbei, Lange, der Zimmermann (den ich gewarnt hatte, diesmal wie schon sehr oft!) hämmerte an der Veranda, * Eva hackte am Wegrand. Am Nachmittag erschien der Gendarm, derselbe, der mir schon mehrfach sein Leid u. seine Gesinnung geklagt hat.
     

 
    5. April Sonntag .
    In der Erinnerung ist es komisch, wie besagter Gendarm zwischen befohlener Grobheit u. Respect u. Anteilnahme schwankte. Im Augenblick war es gräulich u. objectiv ist es ein schreckliches Symptom meiner Lage. Er brüllte * Eva an, er ( * Kalix, Bürgermeister) habe gesagt, er solle sie, solle uns alle einsperren. Verbotene Arbeit, Nationalfeiertag Anzeige eines SS = Mannes gegen uns im Wahllokal. Ich: Aber es ist doch unser Garten, Herr Wachtmeister, es wird doch ringsum gearbeitet. Er, leise, höflich, bedauernd: Gegen die andern ist eben keine Anzeige erstattet worden. Schweren Stand hatte der * Zimmermann. Er wies nach, daß er nur u. notwendigerweise, trotz meiner Warnung vor verbotener Sonntagsarbeit eine wackelnde Verandasäule sichern mußte. So lief alles gut ab oder doch glimpflich, aber die Bitterkeit u. Unsicherheit blieb. Inzwischen ist Lange ständig beim Fliegerkasernenbau in Lausa beschäftigt (Tag- u. Nachtarbeit des Friedens halber) u. Garage u. Pergola stehen im Rohbau unfertig da. Auch am Weg fehlt noch vieles, der Dreck türmt sich berghoch, weitere eintausend Mark sind von der Iduna angefordert, ausleihbare Schlußreserve ist auf 350 M heruntergeschmolzen, Wert der Police auf 6 000 M. Ich bin aber wieder ruhiger geworden. Zähne zusammen u. durch!
    Inzwischen habe ich, haben wir – denn Eva durchleidet es mutig mit – auch allerhand Fahrerlebnisse hinter uns. Darüber werde ich in einem Brief an * Gusti berichten u. hier Copie einlegen. Das Schlimmste: der Wagen springt nicht an, bisher hat alles Nachsehen u. Reparieren nicht recht geholfen; schon wird an Abtausch des Sechscylinders gegen einen Viercylinder gedacht. Wir wollten am Montag Abend zu * * * * Köhlers; der Wagen stand im Garten u. ging nicht weiter; wir mußten im letzten Augenblick eine Autodroschke heraufkomen lassen. Wir sollten heute Vormittag zur Confirmation der * Annelies Lehmann, Tochter der Aufwärterin: der Wagen steht in der Garage u. geht nicht. (In diesem Fall ist das Unheil nicht ganz unerwünscht). Mal ist der Motor zu kalt, mal soll es die Batterie sein, mal der Anlasser, mal die Dichtung am Vergaserfilter. Immer das Resultat: er geht nicht; immer Kosten.
    Von Auto – u. Garage abgesehen: 1) schwere Bedrücktheit u. Hoffnungslosigkeit der allgemeinen Lage. 2) Herzbeschwerden. 3) Zunehmende Wurstigkeit. 4) Band 1 des 18 Jh.s gestern zuende abgeschrieben, bleiben Anmerkungen u. Durchlesen, noch etwa vier Wochen Arbeit. Alles in allem wird dieser Band (Maschine – eng! – 330 S., Druck gegen 400) drei Jahre gekostet haben, reine Schreibzeit seit Sommer 1934. 5) Letzten Sonntag Mittag * * Ehepaar Isakowitz bei uns, aufbruchbereit für London, sehr nervös u. deprimiert. 6) Nach achtzehn Jahren etwa aufgetaucht: * Frau Stettenheim, gutmütig komische Person der Leipziger Kriegszeit, Haushälterin u. Gattin des stotternden * * Wippchensohnes. 1 Jetzt seit 6 Monaten Witwe, gealtert, hysterisch bis zum Nervenzusamenbruch, stürmisch zärtlich. Sie tat uns sehr leid, aber es war gut, daß sie nach Weimar weiterraste. Sie sterbe vor Einsamkeit u. Rastlosigkeit, sie habe niemanden. Sie ist dem Bund nichtarischer Christen 2 beigetreten.
    Lektüre – wir kommen

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