Klemperer, Viktor
gekonnt – aber dies hat Modernität, Uhu = Modernität; so ungefähr sehen auch die Novellen aus, die * A. E. Johann in sein Amerika-Reisebuch eingeflochten hat. – – Solches Modernisieren, wie es mit dem * Wohlbrückroman geschehen ist, scheint mir eine Art Compliment zu sein. Man nimmt den Autor noch nicht historisch, man meint, er gehöre beinahe noch ins Heute. Mutatis mutandis liegt etwas Ähnliches vor, wenn * Delilles Jardins 4 1797 ver t eutscht werden.
Das * goldene Bett ist nirgends schlecht, manchmal etwas schleppend, manchmal salopp im Stil, mehrfach sehr gut u. beinahe bedeutend. Eine Scene darin – der Kleinstadtdoctor, dem ein Autounfall berühmter Berliner Leute das große Loos bedeutet, u. die Frau Doctor dankt dem Himmel für das Glück – ist ganz u. gar von * Vicky Baum übernomen u. zu einem eigenen Roman: Zwischenfall in .. ich glaube 5 – Lohwinkel ausgesponnen worden.
* Eva hat mir immer gesagt, die * Wohlbrück sei die eigentliche Vorläuferin Vicky Baums. Der haltlose Dramenautor, der finanziell u. nervlich zusamenbricht, der streberische Theaterdirector (schon in Du sollst ein Mann sein), die Angehörigen des Autors, das Leben der kleinen Bankangestellten, die voltairische * Prinzessin, vor allem der egoistische u. doch humorvoll gesehene alte Vater des Autors, die bissige Karikatur der Wiener Gemütlichkeit u. Leichtlebigkeit, die entsagende verknöcherte Volksschullehrerin – – es ist sehr viel Leben in dem Buch. Seit 100 Jahren gibt es eine soche Überfülle guter Romane in Europa, u. das Niveau der Franzosen, Deutschen, Engländer liegt sehr hoch.
Vor der Wohlbrück las ich zwei amerikanische Romane vor, die * Grete uns warm empfohlen hatte: Das ist Fanny (Fanny herself) u. Das Komoediantenschiff (The Show-boat) von * Edna Ferber ; 1 der erste gut, der zweite noch sehr viel besser. Der erste stark in den Bahnen * Sinclair Lewis , der zweite degagierter, origineller, humorvoller, auf weite Strecken hin wahrhaft genial. Fanny wohl ein bißchen autobiographisch. Die Jüdin im Ladengeschäft der Kleinstadt des Mittelwestens, Mutter u. Tochter voller Energie, der Sohn ein zu weich geratener Geiger, der sich erotisch in Wien verplempert. Fanny wird dann nach dem Tod der Mutter große Geschäftsfrau (kurz vor dem Kriege) macht sich frei, wird soziale Zeichnerin. – Das Komoedienschiff origineller. Ein historischer Roman beinahe. Die fahrenden Komoedianten auf dem Mississipi in den 70er Jahren bis ans Ende des Jahrhunderts. Zwei Generationen. Die dritte Generation – die Tochter der Heldin wird moderne New-Yorker Schauspielerin – allzu skizzenhaft u. allzu satirisch gezeichnet; alles andere wahrhaft epischer Humor u. epische Größe. Grandioser das Mitspielen des Flusses. Ungemein humorvoll die große Mittelgruppe: der leicht französische Kapitän, die puritanisch altjüngferliche Frau, die gegen die Theatersünde eifert u. später das Unternehmen unbeugsam leitet, die wirkliche Tochter der beiden, Magnolia, ihr Mann, der Spieler, die Geburt Kims in der Dreistaaten-Ecke auf dem tobenden Strom ... Nur wiegesagt: der satirische Schluß, Kims Erfolge in der neuen Sachlichkeit, bleibt leblos u. störend angeheftet. –
* Kittels Gestalten in Israel lasen wir nur etwa zu einem Drittel. Mir ist da zuviel von politischer Geschichte die Rede, zu wenig von der Entwicklung der Religion.
Ich lese sehr viel vor. Und ich sitze stundenlang bei meinem 18. Jh., während * Eva in D. gärtnert. Es drücken allzuviele Sorgen auf mich – u. immer dieselben – als daß ich vorwärtskäme. Ich will mir jetzt eine Sonderstudie über * Delilles Gärten 2 abzwingen. Aber immer dieses lähmende: Wozu? Für den Schreibtisch!
Und immer die furchtbare steigende Geldnot. Der * Hueberprozeß steht jetzt vor dem Abschluß. Zwei sinnlose Sachverständigengutachten setzen mich matt. Ich habe auf 600 M. geklagt; es ist sehr möglich, daß ich ebensoviel verliere. Wo hernehmen? Und wo das Geld für den nächsten Termin der Lebensversicherung herschaffen? Alles wird in die Autofahrten nach u. von Dölzschen gesteckt (ein Versuch zu Fuß zu gehen endete mit vielen Thränen, Schwächeanfall, Schmerzen, zerstörter Nacht) u. in die gärtnerischen Anlagen. Das Stück Keller ist nun gebaut u. steht roh u. unfertig da; alle Möglichkeit Baugeld zu erhalten, scheint abgeschnitten. Man will kein Holzhaus, kein flaches Dach u. man sieht in einem Beamtenposten keine Sicherung mehr. – Es sind immer die gleichen
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