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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Aethernarkose haben. Der Narkosearzt band ihr die Hände ganz leicht an den Lehnstuhl, er sprach auf sie ein (nun mal zählen Sie , hübsch ruhig, hübsch ruhig! usw.) wie zu einem Kind. Hinterher erfuhr ich, der Mann sei Kinderarzt. Jeder urteilt aus seinem Beruf heraus. * Sp. ist wie dieser Kinderarzt, da er ja ständig mit der kindlichen Seite der Volkspsyche zu tun hat. Sie ist gewiß überall vorhanden, auch im Gebildeten. Aber doch nicht allein, u. nicht, wenigstens nicht immer dominierend. Mir fällt auch noch das Wort unseres Hygienikers * Süpfle 1 ein (schon voriges Jahr geäußert): Wie lange dauert diese Psychose noch?
    Immerfort Arbeit am * Delille . Die Studie wird sehr gut, ganz u. gar die Studie eines alten Menschen, mikroskopisch, mit vielen Erfahrungen bereichert u. am Umfassenden (der Geschichte des ganzen 18. Jh s) eben doch vorbeigedrückt. Sie kostet mich unverhältnismäßig viel Zeit.
    Jeden Morgen beim Rasieren liegt der Albdruck des * Hueberprozesses auf mir. Zwei wahnsinnige Gutachten gegen mich, Aussicht, 600 M u. mehr zahlen zu müssen u. keine Ahnung wo dieses Geld hernehmen. Heute kam ein langer, langer Schriftsatz, den * Langhan eigentlich nur (geradezu wortwörtlich) nach meinem Brief ins Reine geschrieben hat. Letzte Beschwörung des Gerichts. Ich hebe diesen Schriftsatz hier beiliegend auf 2 : er ist mein Werk, in allen charakteristischen Worten u. Gedanken meines; er resümiert die ganze Affaire, die mich seit anderthalb Jahren zur Verzweiflung bringt. Jetzt scheint das Urteil nahe bevorzustehen.
    Eva ist trotz schwerer Hitze mindestens übertäglich in Dölzschen. Ich hole sie ab, ich bin auch oft helfend ein, zwei Stunden oben. Der Garten ist prunkvoll geworden, der Keller fertig. Aber keine Möglichkeit des Weiterbauens u. immer vergrößerte Kosten. Das Fahren kostet jedesmal etwa 5,50 M. Versuchen wir einen Teil zu gehen, so sind Schmerzen u. schwere Nervenkrisen die unausbleibliche Folge.
    * Karl Wieghardt – ich traf ihn auf der Straße, u. wir nahmen die Beziehungen mit ihm wieder auf – die * Mutter ist in Dänemark, der Zwist mit ihr tobte zwischen Weihnacht u. Sylvester – K. W. erzählte an dem befohlenen Festmarsch des Hochschulbetriebs hätten am 1. 5. dreißig Studierende teilgenommen (u. die Scheuerfrauen) auch sei es neulich in einer Studentenversamlung, [ wo ] als ein Zeltlager in Schellerhau zur Gemeinschaftspflege für die Pfingstferien anbefohlen wurde, zu offener Opposition gekomen: irgendwann wolle man Zeit zum Arbeiten haben, die Umzüge etc. ließen einen gar nicht zum Studium kommen. Also auch hier allmähliches Erwachen. Aber noch herrscht die Phrase, der Jugend seien die N.S. sicher.
    Vorgelesen in letzter Zeit: zwei sehr schwache phantastische Novellen von * Wells 1 : Zeitmaschine (Utopie der gtl geteilten Menschheit: Besitzende zu Idioten gesunken – Arbeiter zu Bestien vertiert, blind unter der Erde bei ihren Maschinen, Kannibalen) u. Doctor Moreaus Insel (widerwärtig sadistisch; der Biologe schafft vivisecierend u. umpflanzend allerlei Tiergeschöpfe)
    Im Übrigen mit immer steigendem Genuß den alten * Sudermann. 2 Erst aus der Leihbibliothek, jetzt aus der Landesbibl. D. h. jetzt wie im Studium, auf ein Gesamtbild abzielend. Mit einer gerührten u. stolzen Liebe liebe ich ihn. Ich habe in meiner ersten Jugend für ihn geglüht, ihm noch Treue gehalten, als alles ihn als einen faiseur 3 anfeindete. – Dann kam meine Romanistik, die Abkehr von moderner deutscher Literatur, ich mißtraute meinem Jugendurteil, Sudermann wurde vergessen, u. ich vergaß ihn. Ganz verwundert war ich , als er vor ein paar Jahren starb, als ich ihn vorher ein paarmal als Mann der Dichterakademie nennen hörte. Lebender Leichnam. Einmal sagte mir * Blumenfeld, er habe ein neues Werk des Alten gelesen, den tollen Professor 4 – ganz interessant. Und jetzt bekam stieß ich zufällig in der Leihbibliothek auf S. Und sofort fesselte er uns beide. Sehr tief u. sehr reich und umfassend, dabei offenbar ganz innere Autobiographie ist Die Frau des Steffen Tromholt. 5 Wirklichen Humor hat das Purzelchen 6 [.] Nur der Schluß ist allzusehr auf Kino, Operette, happy end gemacht. Aber wieviel Zeitwahrheit! Und jetzt die schönen Jugenderinnerungen. 7 Auch liegt der tolle Professor schon bereit. Ich habe eigentlich die Absicht, ihn ganz zu lesen, das ganze Werk, von hinten nach vorn. Mir ahnt dahinter eine eigene Studie.
    Zwei Einzelheiten dazu: Er und seine Leute weinen noch, auch

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