Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)
Liebe verweigert (»Sturmhöhe«).
Heute können wir frei wählen, das macht die Liebe beliebig. Schwärmereien verkommen zu Futter für die eigene Eitelkeit: Je mehr ich begehrt werde, desto wertvoller bin ich. Das sind radikal individualistische Motive, die mit meinem Gegenüber nichts zu tun haben. Geschweige denn mit Liebe. Liebe heißt, sich binden zu wollen, Autonomie durch Abhängigkeit zu erreichen, durch Vertrauen und Ehrlichkeit. Liebe ist meine freiwillige Bindung an Menschen und deren Großartigkeit, Bindung an diejenigen, die in der Gesamtheit ihrer guten und schlechten Eigenschaften begeistern. Nicht ein Bild, das niemals erreicht wird. Liebe ist ein Prozess, eine Entwicklung, kein statischer Moment, den es zu konservieren gilt. Liebe ist Arbeit, Kampf, Dialektik, und nur eine lebendige Liebe ist aufregend. Die Tragik ist unser Ersatz für den Versuch, romantische Momente einzufangen, statt jeden Tag neue zu schaffen. Und nichts friert die mit Liebe assoziierte Romantik besser ein als Bilder, Texte und der Beziehungsstatus auf Facebook.
Wer seine Liebe auf Facebook dokumentiert, meint vielleicht, nicht mehr bei Kerzenlicht darüber reden zu müssen. Dabei ist jede AGB für einen Online-Lieferservice detaillierter als die Vereinbarungen über unsere Beziehungen. Welche Grenzen und Regeln, welche Wünsche hat unsere Liebe? Nur im Unausgesproche nen schaffen wir es, die Tragik zu erzeugen, die wir dann für wahre Liebe halten. Auf eine hormonelle Reaktion folgt der fatale Glaube an eine Liebe, die es nur in Kinofilmen geben kann, die in den Wirren der Unsicherheit und Selbstbeobachtung im Kopf entsteht und dort auch stirbt. Auch wenn wir das nicht merken. Wir verstecken uns, Projektion ist Selbstschutz, und ich für meinen Teil bin des Projizierens überdrüssig. Ab jetzt geht es um den Menschen, den ich vor mir habe, um echtes Interesse und wahrhafte Gefühle. Sowohl freundschaftlich als auch romantisch. Lassen wir die Welt der Fiktion hinter uns. Wir können das.
Mädchen sind auch im Internet doof
tl;dr.: Lange glaubte ich, dass wir in einer gleichberechtigten Welt leben und auch das Internet ein Ort der Geschlechtergerechtigkeit ist. Bis ich erkannte: Macker sind auch im Internet Macker.
»Eine Frau muss man vorzeigen können. Du wärst gerade noch im Rahmen meiner Vorstellung. Aber dicker dürftest du auf keinen Fall sein …«
Mein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Hat er das gerade wirklich gesagt? Wir haben uns alle auf dieser Lan-Party verabredet, und dass ich jetzt hier mit Kurt an der Bar stehe, habe ich Mortensen zu verdanken, der sich mal wieder verspätet. Genauso wie Maya.
Kurt sieht aus und riecht, als wäre er gerade einem bulgarischen Provinzbordell entstiegen. Ungepflegt und mit fettigen Haaren doziert er weiter, dass er für sich die perfekte Balance im Umgang mit den Frauen gefunden habe.
»Frauen an sich sind einfach weniger visuell veranlagt als wir Männer. Eine Frau will nicht das, was sie sieht, sondern das, was sie glaubt zu kriegen. Frauen verlieben sich nicht einfach in einen Mann, sondern in das, was er darstellt. Und nichts lässt sie so sehr an die Zukunft glauben wie Geld und Macht. Eigentlich ist der Kapitalismus ja ein weibliches Projekt.«
»Wie bitte?« Mehr fällt mir gerade nicht ein.
»Und am besten gefällt mir dieser Selbstekel, der euch befällt, wenn sich euer aufgeklärtes und emanzipiertes Bewusstsein der Natur beugt. Da kann ich stinken, beleidigen, demütigen, wie es mir passt, es lässt euch nur noch mehr an den Prinzen glauben, der ganz bestimmt mal aus diesem Frosch wird.«
Wieso stehe ich hier mit diesem … und wo bleiben die anderen? Ich fürchte, dass dieser fettige Kerl schon viele intime Begegnungen hatte. Mit seiner verwegenen Dreistigkeit schafft er es offenbar tatsächlich, sich auf dem angeschlagenen Selbstwertgefühl wunderschöner Frauen festzusetzen. Sie abhängig von sich und seinem Lob zu machen. Er wird wohl die Sehnsucht nach der väterlichen Anerkennung nutzen und diesen Dreck im Internet gelesen haben. Auch wenn jeder Mensch Gründe hat, warum er so wurde, wie er ist, vergesse ich bei ihm diesen Grundsatz. Ich halte die Luft an, um seinen nächsten selbsternannt intellektuellen Erguss ohne Gehirnschlag zu überstehen.
»Du wirst es nicht glauben, aber ich war mal ein richtig netter Kerl, ein Nice Guy, wie man so sagt, oder Fußabtreter für die Frauen. Die haben sich mit den Arschlöchern vergnügt und ich durfte ihre
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