Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)
du bist verwertbar oder nicht. Ökonomisierung oder Wertlosigkeit, dazwischen gibt es nichts. Und das Internet beschleunigt die Ökonomisierung noch. Ich habe letztens ein gutes Zitat dazu gelesen, sinngemäß: Das Internet präsentiert uns und die anderen wie auf einem Buffet und ermöglicht uns Wahlformen, die aus der ökonomischen Sphäre abgeleitet werden.
– Ja, und dabei wird verlangt und ermöglicht, dass ich morgen jemand komplett anderes sein könnte, als ich heute bin. Was ist eigentlich mit Leonard? Ist er immer noch hinter dir her?
Falsches Thema. Ist er. Und ich setzte keine Grenzen. Verdammter Wein. Das verrate ich Maya aber nicht. Ich schäme mich immer noch.
– Ach, schlimm. Ich mag ihn wirklich gerne, er ist witzig und sehr intelligent. Wir haben wunderbare Gespräche. Aber seine Blicke kleben an mir wie an einem Autounfall.
– Du bist ja auch eine Naturgewalt manchmal.
– Hör auf! Ich weiß genau, dass er mich als Trophäe betrachtet. Ich soll so was wie seine Gerda Buddenbrook sein oder eine Jackie Kennedy mit Nerdbrille. Quasi die Fußballerfrau für den gebildeten Mann. Von wegen handelndes Subjekt!
– Hehe
Ich höre Mayas hämisches Lachen förmlich in meinen Ohren. Ich fühle mich angegriffen.
– Ich lese seine Mails schon gar nicht mehr. In regelmäßigen Abständen lallt er mich nachts an: Hallo prettyface, ich bin betrunken! Sorry, aber das ist respektlos, er zwingt mich, dass ich mich in irgendeiner Weise dazu verhalte. Und: Es geht nicht um mich, es ist nur eine Projektion, ich bin nur eine Projektion seiner Phantasien und Träume. Und das Schlimmste ist: Ich mag es, wenn er mich umgarnt. Wenn er einer anderen seine Aufmerksamkeit schenkt, bin ich beleidigt. Wirklich wahr. Eine von sich selbst absorbierte Kuh halt!
– Ich fand dich auch recht inkonsequent, ehrlich gesagt. Spätestens, als er dir den Link zu dem Liebesstuhl schickte, hättest du …
– DER STUHL! Jaha! Es macht dann doch unerhört viel Spaß, begehrt zu werden. Aber der Link zu dem Stuhl … ich habe so gelacht.
– Und trotzdem mitgemacht! Viel zu lange. Das ist jetzt die Rache. Chapeau, Weltgeist!
– Ich weiß es doch.
(Ich schließe die Lider leicht, hebe die Augenbrauen und schlage Tasten an, die dies widerspiegeln.)
– -.-
Maya macht eine kurze Pause, ich deliriere weiter.
– Sehnsucht ist Mittelhochdeutsch für Krankheit des schmerzlichen Verlangens, sagt Wikipedia, und entsteht genau dann, wenn ein Bild auf einen Menschen projiziert wird, der diesem Bild nicht entsprechen kann oder will. Der Blick richtet sich nicht auf den Menschen selbst, sondern auf das, was man sich wünscht, was dieser Mensch sein soll, sein Disney-Potenzial. Sehnsucht wird zur Tragik. Mit Liebe hat das nichts zu tun. Es ist krank, nur so fühlt man sich in dieser saturierten Welt lebendig …
– Du hast recht, aber ich muss jetzt arbeiten. Bis dahin! :-*
Ich schicke Maya einen virtuellen Kuss zurück und schließe das Chatprogramm. Doch die Gedanken lassen mich nicht los. Liebe in der Metamoderne ist ge fangen in der Ironisierung der Lebenswirklichkeit, denke ich. Jede romantische Geste wurde unendlich oft medial ausgedrückt, in Filmen, Musik, in der Werbung. Romantik ist nur noch ein Wiederholungsprogramm. Wir werden zugeschüttet mit den Gesten und Symbolen einer großen Liebe oder wahlweise einer dramatischen Trennung. Welche romantische Geste ist denn nicht schon zigfach verarbeitet? Welche Geste wirkt, wenn ich sie gebrauche, nicht absolut lächerlich? Ich ertrage ja nicht mal einen tiefen Blick in die Augen von Mr Big, ohne daran zu denken, wer alles in solchen Momenten schon den Bezug zur Realität verloren hat. Um dann wie die eigenen Eltern zu werden. Oder zu schweigen. Und plötzlich ist man eine alleinerziehende Mutter mit hinterlassenen Spielschulden. Nein danke. Romantik hört beim Gang zum Amt auf.
Projektion ist der Kern metamoderner Liebe. Wir denken Liebe immer tragisch . Erst die Tragik macht die Liebe echt, so ist es schließlich kulturell überbracht: Entweder sind die Familien verfeindet (»Romeo und Julia«), ist das Subjekt der Begierde vergeben (»Othello«), uninteressiert (»Vom Winde verweht«) oder gehört einer anderen Spezies an (»Twilight«). Dabei bedeutet die Tragik letztlich nur Reibung an den Umständen. Das Überwinden dieser tragischen Hindernisse schweißt zusammen, gibt der Liebe Bedeutung, denn sie kämpft für etwas Ehrenwertes und gegen ein System, das dem Paar die
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