Klingenfieber: Roman (German Edition)
ganze zweite Fünfstundenschicht verging über solchen Grübeleien. Keine der zehn Gruppen hatte in dieser Zeit nach ihm geschickt. Bei der zweiten Versammlung kam heraus, dass keine der Gruppen eine auch nur einigermaßen verdächtige Frau gesehen hatte.
»Es wird langsam Nacht. Forscht in den Herbergen nach«, wies er die übermüdeten Männer an. Er selbst war nicht müde, kein bisschen. Sie sollten sich an ihm ein Beispiel nehmen. Diese überschätzten Leibwächter, die ihm seit Wochen immer nur mürrisch zu verstehen gaben, dass sie diese Mission für unter ihrer Würde erachteten – dabei war Erenis mit Sicherheit die außergewöhnlichste Person, die ihnen jemals untergekommen war.
Vardrenken spürte, wie er mehr und mehr Verachtung empfand für die Verfechter, und über die Verfechter hinaus dann auch für den Hochadel, der die ganze Zeit über immer nur auf seinem erhöhten Hintern saß und sich als etwas Besseres dünkte. Während andere, fähigere, wie er, draußen die Drecksarbeit verrichteten.
In der nun folgenden Fünfstundenschicht erkundigte sich eine der Dreiergruppen unter anderem auch in dem Gasthaus, in dem Erenis abgestiegen war. Doch sie erkundigten sich lediglich nach einer Schwertkämpferin, die alleine unterwegs war, und der Gastwirt hatte viel zu viele Gäste, um sich deren Kleidung, Ausrüstung oder Aussehen merken zu können. Er merkte sich nur, ob jemand Einzel-, Doppel- oder mehrere Zimmer bestellt hatte, und Erenis war mit Stenrei gekommen, hatte also zwei Zimmer belegt, und deshalb zog der Gasthauswirt die Verbindung zur »allein reisenden Schwertkämpferin« nicht. Vielleicht hätte er die Verbindung gezogen, wenn er gerne Auskünfte über seine Gäste erteilt hätte. Doch das war nicht der Fall, denn seine Gäste standen seinem Herzen allemal näher als Inspizienten, Büttel, Rittrichter, Soldaten oder Verfechter.
In derselben Fünfstundenschicht wurde Rittrichter Vardrenken dreimal zu falschen Klingentänzerinnen gerufen. Eine von denen war noch nicht einmal bewaffnet und hatte lediglich damit gedroht, jemandem »die Augen auszukratzen«. Die anderen beiden waren Abenteurerinnen, die des Kämpfens kaum mächtig waren. Die eine war minderjährig und konnte immerhin wegen unerlaubten Waffenbesitzes festgenommen werden.
Der Rittrichter fühlte sich von den Verfechtern zunehmend veralbert. »Ihr sollt mich nicht jedes Mal rufen, wenn ihr eine Frau seht, auch wenn das in euren ereignislosen Leben wohl eher selten der Fall zu sein scheint. Ihr sollt mich rufen, wenn ihr eine ganz bestimmte Frau seht«, herrschte er sie vor versammelten Schaulustigen an.
Dann wartete er die dritte Versammlung ab. Hier überschüttete er die übermüdeten Verfechter mit Schimpfworten und Schmähungen. Innerlich jedoch interessierte er sich schon kaum mehr für das, was sie ihm als Entschuldigungen entgegenbrachten. Er hatte längst eigene Pläne.
Nach der dritten Versammlung hatte er abermals fünf Stunden Zeit. Also verließ er seinen Posten in der Fleischverarbeitungsstätte Mitten und begab sich in die Kerker, wo er sich ein Mädchen suchte, das Erenis wenigstens in groben Zügen ähnelte. Er ließ sie in eine Einzelzelle verbringen und befasste sich dann mit ihr. Er zog sie nackt aus, drückte ihr sein Schwert in die Hand, hieß sie ihn anzugreifen, schlug sie mit dem Handballen ins Gesicht besinnungslos und versuchte sich an ihr zu vergehen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Das Mädchen roch ganz anders als Erenis. Und die echte, die einzige Erenis war zu nahe. Ihm war, als würde sie ihm bei seinen ruckartigen Verrichtungen über die Schulter schauen und dabei höhnisch den Kopf schütteln. Er kam sich würdelos und schwach vor. Kurz überlegte er, das Mädchen zu zerstückeln, sie regelrecht zu zerhacken, um sich an ihr zu beruhigen und die Machtverhältnisse wiederherzustellen, doch dann wurde ihm schlagartig schlecht und er übergab sich in eine Ecke der schmalen Zelle.
Hastig zog er der immer noch Besinnungslosen das Kerkerhemdchen wieder über und taumelte nach draußen. Den Kerkerwächtern gegenüber brauchte er nichts zu rechtfertigen, er verfügte über sämtliche Vollmachten. Aber er fühlte sich unbefriedigt und zerschlagen. Er wollte brüllen vor Schmerz und Wut und Lust und Scham. Nichts kam aus ihm heraus außer einem keuchenden Grollen.
Es war Nacht. Die vierte Versammlung fand ihn wieder auf seinem Stuhl. Zweimal hatte man ihn während der letzten Fünfstundenschicht nicht
Weitere Kostenlose Bücher