Klingsors letzter Sommer
und
mannigfaltig, durch diese grüne hohe Tür
läutet sie Tag und Nacht zu mir herauf und
schreit und fordert, und immer wieder
renne ich hinaus und reiße ein Stück davon
an mich, ein winziges Stück. Die grüne
Gegend hier ist durch den trocknen Som-
mer jetzt wunderbar licht und rötlich ge-
worden, ich hätte nie gedacht, daß ich wie-
der zu Englischrot und Siena greifen
würde. Dann steht der ganze Herbst bevor,
Stoppelfelder, Weinlese, Maisernte, rote
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Wälder. Ich werde das alles noch einmal
mitmachen, Tag für Tag, und noch einige
hundert Studien malen. Dann aber, das
fühle ich, werde ich den Weg nach innen
gehen und noch einmal, wie ich es als jun-
ger Kerl eine Weile tat, ganz aus der Erin-
nerung und Phantasie malen, Gedichte ma-
chen und Träume spinnen. Auch das muß
sein.
Ein großer Pariser Maler, den ein junger
Künstler um Ratschläge bat, hat ihm ge-
sagt: »Junger Mann, wenn Sie ein Maler
werden wollen, so vergessen Sie nicht, daß
man vor allem gut essen muß. Zweitens ist
die Verdauung wichtig, sorgen Sie für ei-
nen regelmäßigen Stuhlgang! Und drit-
tens: halten Sie sich stets eine hübsche
kleine Freundin!« Ja, man sollte meinen,
diese Anfänge der Kunst habe ich gelernt,
und es könne mir hierin eigentlich kaum
fehlen. Aber dies Jahr, es ist verflucht,
stimmt es bei mir auch in diesen einfachen
Dingen nicht mehr recht. Ich esse wenig
und schlecht, oft ganze Tage nur Brot, ich
habe zuzeiten mit dem Magen zu tun (ich
sage Dir: das Unnützeste, was man zu tun
haben kann!), und ich habe auch keine rich-
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tige kleine Freundin, sondern habe mit
vier, fünf Frauen zu tun und bin ebensooft
erschöpft wie hungrig. Es fehlt etwas am
Uhrwerk, und seit ich mit der Nadel hin-
eingestochen habe, läuft es zwar wieder,
aber rasch wie der Satan, und rasselt so
unvertraut dabei. Wie einfach ist das Le-
ben, wenn man gesund ist! Du hast noch
nie einen so langen Brief von mir bekom-
men, außer vielleicht damals in der Zeit,
wo wir über die Palette disputierten. Ich
will aufhören, es geht gegen fünf Uhr, das
schöne Licht fängt an. Sei gegrüßt von
Deinem
Klingsor.
Nachschrift:
Ich erinnere mich, daß Du ein kleines Bild
von mir gern hattest, das am meisten chi-
nesische, das ich gemacht habe, mit der
Hütte, dem roten Weg, den veronesergrü-
nen Zackenbäumen und der fernen Spiel-
zeugstadt im Hintergrund. Ich kann es jetzt
nicht schicken, weiß auch nicht, wo Du
bist. Aber es gehört Dir, das möchte ich
Dir für alle Fälle sagen.
Klingsor schickt
seinem Freund Thu Fu ein Gedicht
[Aus den Tagen, in welchen er an seinem Selbstbildnis malte]
Trunken sitz ich des Nachts im
durchwehten Gehölz,
An den singenden Zweigen hat der Herbst
genagt;
Murmelnd läuft in den Keller,
Meine leere Flasche zu füllen, der Wirt.
Morgen, morgen haut mir der bleiche Tod
Seine klirrende Sense ins rote Fleisch,
Lange schon auf der Lauer
Weiß ich ihn liegen, den grimmen Feind.
Ihn zu höhnen, sing ich die halbe Nacht,
Lalle mein trunkenes Lied in den müden
Wald;
Seiner Drohung zu lachen
Ist meines Liedes und meines Trinkens
Sinn.
Vieles tat und erlitt ich, Wanderer auf
langem Weg,
Nun am Abend sitz ich, trinke und warte
bang,
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Bis die blitzende Sichel
Mir das Haupt vom zuckenden Herzen
trennt.
Das Selbstbildnis
In den ersten Septembertagen, nach vielen
Wochen einer ungewöhnlichen trocknen
Sonnenglut, gab es einige Regentage. In
diesen Tagen malte Klingsor, in dem hoch-
fenstrigen Saal seines Palazzos in Castag-
netta, sein Selbstporträt, das jetzt in Frank-
furt hängt.
Dies furchtbare und doch so zauberhaft
schöne Bild, sein letztes ganz zu Ende ge-
führtes Werk, steht am Ende der Arbeit
jenes Sommers, am Ende einer unerhört
glühenden, rasenden Arbeitszeit, als deren
Gipfel und Krönung. Vielen ist es aufgefal-
len, daß jeder, der Klingsor kannte, ihn auf
diesem Bilde sofort und unfehlbar wieder-
erkannte, obwohl niemals ein Bildnis sich
so weit von jeder naturalistischen Ähnlich-
keit entfernte.
Wie alle späteren Werke Klingsors, so
kann man auch dies Selbstbildnis aus den
verschiedensten Standpunkten betrachten.
Für manche, zumal solche, die den Maler
nicht kannten, ist das Bild vor allem ein
Farbenkonzert, ein wunderbar gestimm-
ter, trotz aller Buntheit still und edel wir-
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kender Teppich. Andre sehen darin einen
letzten kühnen, ja verzweifelten
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