Klingsors letzter Sommer
wieder.
25
Nachts schlief er wenig. Oft erwachte er
aus angstvollen Träumen, Schweiß im Ge-
sicht, wild und lebensmüde, und sprang
doch alsbald auf, starrte in den Schrank-
spiegel, las die wüste Landschaft dieser ver-
störten Züge ab, düster, haßvoll, oder lä-
chelnd, wie schadenfroh. Er hatte einen
Traum, in dem sah er sich selbst, wie er
gefoltert wurde, in die Augen wurden Nä-
gel geschlagen, die Nase mit Haken aufge-
rissen; und er zeichnete dies gefolterte Ge-
sicht, mit den Nägeln in den Augen, mit
Kohle auf einen Buchdeckel, der ihm zur
Hand lag; wir fanden das seltsame Blatt
nach seinem Tode. Von einem Anfall von
Gesichtsneuralgien befallen, hing er
krumm über die Lehne eines Stuhles, lachte
und schrie vor Pein und hielt sein entstell-
tes Gesicht vor das Glas des Spiegels, be-
trachtete die Zuckungen, verhöhnte die
Tränen.
Und nicht sein Gesicht allein, oder seine
tausend Gesichter, malte er auf dies Bild,
nicht bloß seine Augen und Lippen, die
leidvolle Talschlucht des Mundes, den ge-
spaltenen Felsen der Stirn, die wurzelhaf-
ten Hände, die zuckenden Finger, den
26
Hohn des Verstandes, den Tod im Auge.
Er malte, in seiner eigenwilligen, überfüll-
ten, gedrängten und zuckenden Pinsel-
schrift sein Leben dazu, seine Liebe, seinen
Glauben, seine Verzweiflung. Scharen
nackter Frauen malte er mit, im Sturm vor-
beigetrieben wie Vögel, Schlachtopfer vor
dem Götzen Klingsor, und einen Jüngling
mit dem Gesicht des Selbstmörders, ferne
Tempel und Wälder, einen alten bärtigen
Gott mächtig und dumm, eine Frauenbrust
vom Dolch gespalten, Schmetterlinge mit
Gesichtern auf den Flügeln, und zuhinterst
im Bilde, am Rande des Chaos den Tod, ein
graues Gespenst, der mit einem Speer,
klein wie eine Nadel, in das Gehirn des
gemalten Klingsor stach.
Wenn er stundenlang gemalt hatte, trieb
Unruhe ihn auf, rastlos lief er und
flackernd durch seine Zimmer, die Türen
wehten hinter ihm, riß Flaschen aus dem
Schrank, riß Bücher aus den Schäften, Tep-
piche von den Tischen, lag lesend am Bo-
den, lehnte sich tief atmend aus den Fen-
stern, suchte alte Zeichnungen und Photo-
graphien und füllte Böden und Tische und
Betten und Stühle aller Zimmer mit Papie-
27
ren, Bildern, Büchern, Briefen an. Alles
wehte wirr und traurig durcheinander,
wenn der Regenwind durch die Fenster
kam. Er fand sein Kinderbildnis unter alten
Sachen, Lichtbild aus seinem vierten Jahr,
in einem weißen Sommeranzug, unterm
weißlich hellblonden Haar ein süßtrotziges
Knabengesicht. Er fand die Bilder seiner
Eltern, Photographien von Jugendgelieb-
ten. Alles beschäftigte, reizte, spannte,
quälte ihn, riß ihn hin und her, alles riß er
an sich, warf es wieder hin, bis er wieder
davon zuckte, über seiner Holztafel hing
und weitermalte. Tiefer zog er die Furchen
durch das Geklüft seines Bildnisses, breiter
baute er den Tempel seines Lebens auf,
mächtiger sprach er die Ewigkeit jedes Da-
seins aus, schluchzender seine Vergäng-
lichkeit, holder sein lächelndes Gleichnis,
höhnischer seine Verurteilung zur Verwe-
sung. Dann sprang er wieder auf, gejagter
Hirsch, und lief den Trab des Gefangenen
durch seine Zimmer. Freude durchzuckte
ihn und tiefe Schöpfungswonne wie ein
feuchtes frohlockendes Gewitter, bis
Schmerz ihn wieder zu Boden warf und
ihm die Scherben seines Lebens und seiner
28
Kunst ins Gesicht schmiß. Er betete vor
seinem Bild, und er spie es an. Er war
irrsinnig, wie jeder Schöpfer irrsinnig ist.
Aber er tat im Irrsinn des Schaffens unfehl-
bar klug wie ein Nachtwandler alles, was
sein Werk förderte. Er fühlte gläubig, daß
in diesem grausamen Kampf um sein Bild-
nis nicht nur Geschick und Rechenschaft
eines Einzelnen sich vollziehe, sondern
Menschliches, sondern Allgemeines, Not-
wendiges. Er fühlte, nun stand er wieder
vor einer Aufgabe, vor einem Schicksal,
und alle vorhergegangene Angst und
Flucht und aller Rausch und Taumel war
nur Angst und Flucht vor dieser seiner
Aufgabe gewesen. Nun gab es nicht Angst
noch Flucht mehr, nur noch Vorwärts, nur
noch Hieb und Stich, Sieg und Untergang.
Er siegte, und er ging unter, und litt und
lachte und biß sich durch, tötete und starb,
gebar und wurde geboren.
Ein französischer Maler wollte ihn besu-
chen, die Wirtin führte ihn ins Vorzimmer,
Unordnung und Schmutz grinste im über-
füllten Raum. Klingsor kam, Farbe an den
Ärmeln, Farbe
Weitere Kostenlose Bücher