Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Klondike

Titel: Klondike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
Vom Netzwerk:
gesprochen, holte Trevor den Palgrave hervor, schlug die Gedichtsammlung an einer markierten Stelle auf und sagte mit weicher Stimme: »Ich würde meinem treuen Gefährten gern einen Abschiedsgruß vortragen.« Dann fuhr er klar und deutlich fort: »John Milton verlor einst einen jungen Freund. Er ertrank in der Irischen See. Der Dichter schrieb daraufhin ›Lycidasc‹ um seinem Kummer Ausdruck zu verleihen:
    ›Noch einmal denn, ihr Lorbeeren, und noch einmal,
    Ihr braunen Myrten, Teppich immergrün,
    Nach eurer Früchte harter bittrer Beere Gezwungener Hand ich greife ...‹«
    Er las sich durch die ehrfurchterweckenden Zeilen, bis es so schien, als würde eine himmlische Orgel dem toten jungen Mann eine letzte Ehre erweisen. Wenig wahrscheinlich, daß Blythe in diesem Augenblick bewußt war, wie passend die Schlußzeilen der Elegie sein würden, als Lord Lutons heimgesuchte Mannschaft sie vernahm:
    »Nun ziehn sich Schatten das Gebirg’ empor,
    Nun senkt die Sonne westwärts ihre Reise;
    Da stand und griff er rasch des Mantels Blau Gewandt zu frischer Wälder, neuer Weiden Schau.«
    »So lautet unser Gebot«, sagte Luton, »noch aus dem Grab gesprochen. Morgen brechen wir zum Endziel unserer Reise auf.« Trevor, als er diese markigen Worte hörte, dachte nur: »Wie gefühllos.« Doch empfand er gleich Reue: »Ich war es, der das Gedicht ausgesucht hat. Ich war es, der das Ende nicht vorhergesehen hat.«
    Durch die silberhelle Nacht trieb die »Sweet Afton« dahin, vorbei an einem Seitenarm des Mackenzie nach dem anderen,
    alle verwerfend, da sie in östliche Richtung verliefen.
    »Wir müssen einen Fluß finden, der von Westen her einmündet«, betonte Carpenter wiederholt, wobei die Schärfe in seiner Stimme seine Besorgnis verriet, und als die Stunden von elf Uhr abends bis drei in der Frühe ohne ein Anzeichen des Peel River vorbei strichen, fing auch er an, sein Selbstvertrauen zu verlieren. »Sollten wir die Einfahrt vielleicht doch verpaßt haben?« Hektisch zogen die anderen ihre ungenauen Karten zu Rate, während er schon Vorbereitungen traf, kehrtzumachen und noch einmal das Westufer abzusuchen.
    Das Auftauchen einer Gruppe kleinwüchsiger, dunkelhäutiger Männer, offenbar Indianer, am nahen Ufer hielt ihn von diesem Fehler ab. Sie sprangen in die Luft und veranstalteten ein wildes Geschrei, aus dem sich die ersehnten Worte »Peel! Peel!« herauskristallisierten, als Harry die »Sweet Afton« auf das Ufer zusteuerte. Mit einem erleichterten Seufzer, der die Spannung offenbarte, unter der ihr Steuermann gestanden hatte, hielt Carpenter auf die Rufer zu, und als die mitternächtliche Dämmerung zu vollem arktischen Tageslicht aufhellte, verließ Lord Lutons Mannschaft den weiten, vielmündigen Mackenzie, um in seinen Nebenfluß einzufahren, den schmalen, unbekannten Peel River.
    Sie befanden sich erst wenige Minuten auf der neuen Wasserstraße, als sie die heruntergekommene Siedlung passierten, aus der ihre Lotsen stammten; es war kein richtiges Indianerdorf, bloß eine Ansammlung von Zelten und provisorischen Unterkünften, bewohnt von etwa drei Dutzend Han-Indianern aus dem Distrikt Yukon, die hierhergekommen waren, um ihre Felle im Tauschhandel den Angestellten der Hudson’s Bay Company anzubieten, die mit ihren Frachtschiffen schon sehr bald hierherkommen würden. Aus der Erregtheit der Indianer schlossen Luton und Carpenter, daß dies möglicherweise eines
    ihrer ersten Zusammentreffen mit Weißen war.
    »Sie sprechen kein Französisch«, meinte Luton. »Haben wahrscheinlich noch nie mit den Leuten von der Hudson’s Bay Company Handel getrieben.«
    Als er vortrat, brach erneut wildes Gekreische unter den Han-Indianern aus; sie liefen fort, sammelten ihre Frauen ein und traten die Flucht an. Bestürzt darüber, daß er sie verschreckt hatte, streckte Luton beide Hände aus, die Innenflächen leer und nach oben gekehrt, und bewegte sich bedächtigen Schrittes auf sie zu, sprach beruhigende Worte auf französisch, in der Hoffnung, wenigstens einer von ihnen würde sie verstehen. Er erreichte nichts damit, denn die Indianer setzten ihren Rückzug fort, doch schloß er aus der Richtung, in die sie ihre ängstlichen Blicke lenkten, daß er selbst nicht der Anlaß ihrer Furcht war. Er schaute über die Schulter nach hinten und sah sofort den Grund ihrer Angst.
    Trevor Blythe, gierig nach einem letzten Blick auf den Mackenzie, hatte das lange schwarze Teleskop der Expedition ausgepackt, und nachdem er die

Weitere Kostenlose Bücher