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Klondike

Titel: Klondike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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rasierte sich täglich, besserte seine Kleidung aus, behütete die fünf Fleischkonserven und ging aufrechten Schrittes und nicht leicht vornübergebeugt wie die anderen. Er lief drei Runden jeden Morgen auf der winterlichen Bahn und hielt die anderen an, das gleiche zu tun. Er aß spärlich, sah es lieber, wenn sich seine Begleiter größere Portionen auftaten, und er unternahm alles Erdenkliche, die Stimmung seiner beiden ihm noch verbliebenen Partner zu heben. Er war ein untadeliger Expeditionsleiter, und den einen gräßlichen Abend ausgenommen, als er Fogarty gedroht hatte, ihn zu erschießen, verlor er nie die Fassung. Seine Gruppe sah sich einer bitteren Zeit gegenüber, und er hatte alle Absicht, die Überlebenden sicher nach Hause zu führen. Nie, nicht einmal in seinen geheimsten, unausgesprochenen Gedanken, erkannte er irgendeine persönliche Schuld an der heraufbeschworenen Katastrophe. Er betrachtete sie als einen launischen Akt Gottes oder als eine Manifestation der menschenverachtenden Kräfte der Natur.
    Harry Carpenter spielte den starken Mann. Sein buschiger Schnäuzer hatte sich zu einem ausgewachsenen Vollbart entwickelt, den er regelmäßig stutzte, und wenn er so in der Hütte saß, die schwere Kleidung, die er draußen zu tragen pflegte, abgelegt, dann konnte er als gutaussehender Mann gelten, nicht mehr so rauh wie vorher durch sein von Skorbutleiden schmerzverzerrtes Gesicht, sondern als Mensch, dessen aufrechte Haltung entspannt und keineswegs steif wirkte. Wenn er in Indien geblieben wäre, hätten seine Männer von ihm als »unserem guten alten Harry« gesprochen, und hier oben, in der Einöde Nordkanadas, war er derselbe.
    Er absolvierte nicht jeden Tag seine Runden auf der Bahn, dazu war er nicht in der Lage, aber als er spürte, wie Luton ihn ohne Worte deswegen tadelte, versuchte er es doch, kehrte jedoch nach einer Runde völlig erschöpft zurück.
    Er las »Große Erwartungen« zum drittenmal, dieses Mal allerdings nicht laut, denn Luton und Fogarty machten geltend, sie hätten es schon beim erstenmal nicht sonderlich gemocht und beim zweitenmal nur noch die Zeitvergeudung bedauert. Es tat ihm leid, Fogarty seine Sorgen über den beginnenden Skorbut anvertraut zu haben, doch jetzt wünschte er, sich wirklich mit jemandem über diese Angelegenheit austauschen zu können. Mit Luton oder gar Fogarty zu reden schien unmöglich, ja geradezu ungehörig. Er erduldete seine kräftezehrende Krankheit schweigend in der Annahme, Fogarty habe Luton längst in Kenntnis gesetzt. In der Hütte herrschte tagein, tagaus eine Art verabredetes Stillschweigen, was sein Leiden betraf, und er selbst duldete eine Fortsetzung dieses Schweigens.
    Fogarty glich in dem sturen Hinnehmen der Lebensbedingungen ganz seinem Herrn. An den Tagen, die er nicht mit der meist vergeblichen Suche nach Fleisch verbrachte, das ihr Überleben sichern sollte, lief er mit Luton ein paar Runden und hielt die hartnäckige Munterkeit bei, die jeden guten irischen Knecht zu einem Vorbild seines Berufsstandes machte. Obgleich nicht ausdrücklich von ihm verlangt wurde, seine Gefährten zu bedienen, bereitete es ihm noch immer Freude, morgens das Wasser zum Rasieren für Lord Luton aufzusetzen und das Messer am Streichriemen abzuziehen.
    Er kam Carpenter auf vielfältige Art und Weise zu Hilfe und war bemüht, sich seine gute Laune in ihrem beengten Quartier nicht verderben zu lassen. Er fand es schrecklich, daß sie einen zweiten Winter in dieser Umgebung verbringen mußten, und hielt mit geradezu atemloser Spannung nach jedem noch so kleinen Anzeichen von Frühling Ausschau. »Bald sind wir über die Berge, da bin ich sicher, und auf der anderen Seite gibt’ s Gold für alle!« Er war der einzige, der von Gold sprach, die anderen beiden waren nie sonderlich versessen darauf gewesen und jetzt nur noch mit der Kunst zu überleben beschäftigt.
    Der Winter ging endlich wirklich seinem Ende zu, und mit ihm schwanden auch Carpenters Kraftreserven. Mit jedem Tag wurde er schwächer, bis er gegen Ende des Monats eines Morgens nicht mehr aus dem Bett kam, obgleich sich der Tag mittlerweile deutlich von der Nacht unterschied. Als Luton ihn fragte: »Kommst du mit raus, ein bißchen trainieren?«, meinte er feixend: »Ich schaue lieber vom Teezelt aus zu«, als machten sie sich für ein Cricketspiel bereit.
    Am Tag darauf, als er von der Latrine zurückkehrte, bot sich Fogarty ein klägliches Bild: Harry Carpenter auf seinen geschwächten

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