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Klondike

Titel: Klondike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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nicht bereit, die Leiche in die Hütte zu bringen, sammelten sie seine verstreut herumliegenden Kleidungsstücke ein und drapierten sie wie Gewänder über den gefrorenen Körper, den sie im Schnee aufbahrten. Als sie am nächsten Tag wiederkamen, entdeckten sie, wovon sich die Raben in der Arktis ernährten.
    Der Monat März erwies sich als besonders schwierig, denn mit dem Herannahen des Äquinoktialpunktes, wenn Tag und Nacht an allen Orten der Erde zwölf Stunden lang sind, hatten die beiden Überlebenden allen Grund zu der Annahme, der Frühling sei ausgebrochen. Sie wünschten nichts sehnlicher, als daß Schnee und Eis schmolzen, damit sie sich endlich auf den Weg machen konnten. Nichts dergleichen geschah jedoch. Die Tage wurden zwar merklich wärmer, und die Nächte, in denen die Kälte auf minus sechzig Grad absank, waren vorbei, aber die Temperatur blieb dennoch unter dem Gefrierpunkt.
    Es war eine Zeit, die an den Nerven zerrte, und eines Tages, als Luton schon anfing zu befürchten, er selbst sei jetzt auch von Skorbut befallen, fuhr er Fogarty an: »Sie haben letztes Jahr damit geprahlt, Sie seien ein geschickter Wilderer. Um Gottes willen, dann machen Sie, daß Sie was fangen«, worauf Fogarty bloß entgegnete: »Ja, Milord«, aber trotzdem nichts vor die Flinte bekam.
    Selbst in der Enge der Hütte behielt Lord Luton seinen Kastengeist, die Trennung in Gesellschaftsklassen, aufrecht.
    Fogarty war ein Diener, ein ungebildeter Mensch, der nur deswegen mitgeschleppt worden war, damit er den im Rang Höherstehenden half, und das vergaßen beide Seiten niemals. In den zwei Wintern, jeder über sieben Monate lang, hatte Luton seinen Diener niemals berührt, auch wenn dieser gelegentlich in Ausübung seiner Pflicht seinen Herrn anfassen mußte, und es wäre undenkbar für Luton gewesen, ihn mit seinem Vornamen anzureden. Wenn andererseits Fogarty Seine Lordschaft mit Evelyn tituliert hätte, es wäre einem Erdbeben gleichgekommen. Von diesen strikten Regeln, die sich über Jahrhunderte in den Köpfen der Menschen festgesetzt hatten, gab es kein Abweichen. Hatte Fogarty seinem Herrn etwas mitzuteilen, hieß es »Milord«, und nur »Milord«, selbst die Anrede »Sir« hätte in Lutons Ohren zu familiär geklungen.
    Und doch gab es so etwas wie gegenseitigen Respekt zwischen den beiden. Lutons Expedition war mit fünf Mann ausgerückt, jetzt waren nur noch zwei übrig, und von Zeit zu Zeit hatte Luton der Gedanke amüsiert, wenn auch nie ausgesprochen, falls am Ende nur einer Dawson erreichen sollte, dann wahrscheinlich dieser zufriedene mondgesichtige Ire.
    »Verflucht«, meinte Luton eines Tages zu sich selbst, als er Fogarty dabei zuschaute, wie er seine Runden auf dem Oval drehte, wo sich schon Matsch zu bilden anfing, »Bauern haben einfach einen stärkeren Überlebenswillen. Vermutlich gibt es deswegen so viele von ihnen.«
    Gerechterweise muß man sagen, daß Luton nie Unterwürfigkeit von wirklich erniedrigender Art von seinem Diener verlangte. Die ursprüngliche Regel hatte noch immer Geltung: »Fogarty ist der Diener der Expedition, nicht irgendeines einzelnen Teilnehmers.« Und auf vielerlei Weise ließ er den Iren stillschweigend spüren, daß seine Dienste von Bedeutung waren und Hochachtung genossen. Es war ein Arrangement, das nur zwei wohlmeinende und durch und durch disziplinierte Menschen unter solch schwierigen Bedingungen aufrechterhalten konnten, und beide wußten, wenn sie sich getreu an die Verabredung hielten, hatten sie gute Aussichten, in dieser seltsamen Kombination sicher bis nach Dawson und zu den Goldfeldern zu gelangen.
    Trotz ihrer Absicht, jeglicher Meinungsverschiedenheit, die ihre ohnehin gereizte Stimmung noch weiter angeheizt hätte, aus dem Wege zu gehen, hatte doch jeder eine unerschütterliche persönliche Haltung zu der Frage, was mit den vier übrigen Fleischkonserven geschehen sollte. Lord Luton als Nachkomme einer Familie von Ehrenmännern seit fünfzehn Generationen und Adligen seit neun Generationen bestand darauf, nach dem Verhaltenskodex der in Bedrängnis geratenen Aristokratie zu handeln: »Der Anstand gebietet es uns, die Konserven bis zum letzten aufzubewahren. Das versteht sich von selbst, Fogarty, es wäre unmäßig, sich jetzt über sie herzumachen, wenn sie in einer noch verzweifelteren Situation dringender gebraucht würden.«
    Fogarty auf der anderen Seite stammte aus einer der gewieftesten, widerstandsfähigsten Bauernfamilien, die Irland jemals

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