Klonk!
Jeden Tag. Dem kleinen Sam vorlesen. Keine Ausreden. Er hatte es sich versprochen.
Keine Ausreden.
Auf keinen Fall. Wenn man eine gute Ausrede hatte, öffnete man die Tür für eine schlechte.
Er hatte
Albträume
davon, zu spät zu kommen.
Mumm hatte viele Albträume, in denen der kleine Sam vorkam. Darin ging es um leere Kinderbettchen und Dunkelheit.
Es war alles… zu gut gelaufen. In einigen wenigen Jahren war er, Sam Mumm, wie ein Ballon in der Welt aufgestiegen. Er hatte es zum Herzog und Kommandeur der Wache gebracht. Er hatte Macht und eine Frau, von deren Anteilnahme, Liebe und Verständnis er wusste, dass ein Mann wie er sie nicht verdiente. Und er war reich wie Krösus. Das Glück hatte seinen Bratensaft herabregnen lassen, und er war der Mann mit der großen Schüssel gewesen. Und es war alles so
schnell
gegangen.
Und dann hatte der kleine Sam das Licht der Welt erblickt, und zuerst war alles gut gewesen. Das Baby war, nun, ein Baby, das mit dem Kopf wackelte, Bäuerchen machte und ihn nicht sah – ganz und gar die Domäne der Mutter. Und dann, eines Abends, hatte sein Sohn den Kopf gedreht und Mumm angesehen, mit Augen, die für den Vater heller strahlten als alles Licht der Welt, und daraufhin war die Furcht mit einer schrecklichen Welle in sein Leben geschwappt. All das Glück, seine Freude… es war falsch. Das Universum würde einem einzelnen Mann gewiss nicht so viel Freude gönnen, ohne die Rechnung zu präsentieren. Irgendwo wuchs eine Woge aus großer Dunkelheit, und wenn sie sich über ihm brach, würde sie alles fortspülen. Manchmal glaubte er, in der Ferne ihr Donnern zu hören…
Mumm rief ein kaum verständliches »Danke!« und sprang ab, als die Kutsche langsamer wurde. Es gelang ihm nicht, auf den Beinen zu bleiben, und er rutschte auf die Zufahrt vor dem Haus. Die Eingangstür öffnete sich bereits, als er wieder lief und Kies verstreute, und dort stand Willikins mit
dem Buch.
Mumm ergriff es und raste die Treppe hoch, als die Uhren in der Stadt ihre individuellen Annäherungen von sechs Uhr schlugen.
Sybil hatte sich mit allem Nachdruck gegen ein Kindermädchen ausgesprochen, und dieses eine Mal hatte Mumm mit noch größerem Nachdruck darauf bestanden, dass sie eins einstellten und außerdem eins, das sich um die Zuchtdrachen in den Pferchen kümmerte. Immerhin konnte sich eine einzelne Person nicht um alles kümmern. Schließlich hatte er sich durchgesetzt. Fräulein Reinlich leistete gute Dienste und hatte den kleinen Sam gerade in sein Bettchen gelegt, als Mumm hereinwankte. Sie begann mit einem Knicks, erinnerte sich dann an den Vortrag in der vergangenen Woche über die »Rechte des Mannes« und eilte hinaus. Es durfte niemand sonst zugegen sein. Dieser Moment blieb allein den beiden Sams vorbehalten.
Der kleine Sam zog sich am Gitter des Bettes hoch und sagte: »Da!« Die Welt wurde weich.
Mumm strich seinem Sohn übers Haar. Eigentlich komisch. Er verbrachte den Tag damit, zu rufen und zu schreien, zu reden und zu brüllen… aber hier, in diesem ruhigen Moment, der (dank Fräulein Reinlich) nach Seife roch, wusste er nie, was er sagen sollte. Er war sprachlos in der Gegenwart eines vierzehn Monate alten Kleinkinds. All die Dinge, die ihm einfielen – zum Beispiel »Wer ist Papis kleiner Liebling?« –, klangen schrecklich falsch, als hätte er sie aus einem Buch. Es gab nichts zu sagen, und in diesem Zimmer mit den weichen Pastellfarben musste auch nichts gesagt werden.
Ein Brummen kam unter dem Bett hervor. Der Drache Sabberer döste dort. Uralt, ohne Feuer, mit fransigen Flügeln und ohne Zähne… aus irgendeinem Grund kletterte er jeden Tag die Treppe hoch und bezog Posten unter dem Kinderbett. Niemand wusste, warum. Im Schlaf gab er leise pfeifende Geräusche von sich.
Glückliche Stille umhüllte Mumm, aber sie konnte nicht andauern. Er musste das Bilderbuch lesen. Das war die
Bedeutung
von sechs Uhr.
Jeden Tag las er aus dem gleichen Buch vor. Die Seiten des Buches waren dort rund und weich, wo der kleine Sam sie in den Mund genommen hatte, aber für eine Person in diesem Kinderzimmer war es das Buch der Bücher, und es enthielt die größte Geschichte, die jemals erzählt worden war. Mumm brauchte es gar nicht mehr zu lesen. Er kannte es auswendig.
Das Buch hieß
Wo ist meine Kuh?
Der unbekannte Beschwerdeführer hatte seine Kuh verloren. Das war die Geschichte, im Großen und Ganzen.
Die erste Seite begann vielversprechend:
Wo ist meine Kuh?
Ist
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