Kloster Northanger
meine Schwestern herumzukutschieren. Dass ich nicht lache, ausgerechnet! Morland soll sich um dich kümmern.«
Dies führte zu einem Austausch von Höflichkeiten zwischen den anderen beiden, aber Catherine hörte weder die Einzelheiten noch das Resultat. Die Unterhaltung ihres Begleiters sank nun von ihrem lebhaften geistigen Höhenflug auf das Niveau kurzer, entschiedener Sätze herab, mit denen er jedes ihnen entgegenkommende weibliche Gesicht entweder lobte oder verurteilte, und als Catherine mit all der Höflichkeit und Ergebenheit eines jugendlichen weiblichen Gemüts, das das Wagnis fürchtet, seine eigene Meinung der eines selbstsicheren jungen Mannes entgegen zusetzen, besonders wo es sich um die Schönheit des eigenen Geschlechts handelt, solange sie irgend konnte, zugehört und zugestimmt hatte, wagte sie es schließlich, das Thema mit einer Frage zu wechseln, die sie schon lange außerordentlich beschäftigte; sie lautete: »Haben Sie
Udolpho
gelesen, Mr. Thorpe?«
»
Udolpho
! Ach, du großer Gott, das fehlte noch. Ich lese nie Romane, ich habe Besseres zu tun.«
Die gedemütigte und beschämte Catherine war im Begriff, sich für ihre Frage zu entschuldigen, aber er hinderte sie daran mit seiner Bemerkung: »Romane sind der reinste Unsinn und so. Seit
Tom Jones
18 ist kein einigermaßen erträglicher Roman erschienen, außer
Der Mönch
19 ; den habe ich neulich gelesen, aber alle anderen – das langweiligste Zeug der Welt!«
»Ich glaube,
Udolpho
würde Ihnen bestimmt gefallen, wenn Sie es läsen; es ist richtig spannend.«
»Mir doch nicht, ausgerechnet! Nein, wenn ich überhaupt Romane lese, dann nur die von Mrs. Radcliffe, die sind einigermaßen amüsant; die sind lesenswert, ganz gute Unterhaltung und nicht so übertrieben.«
»
Udolpho
ist von Mrs. Radcliffe«, sagte Catherine und zögerte aus Furcht, ihn zu kränken.
»Wirklich, was Sie nicht sagen! Ja, jetzt erinnere ich mich, Sie haben recht. Ich dachte an das andere alberne Buch dieser Frau, mit der so viel Rummel gemacht wird, sie ist mit diesem französischen Emigranten verheiratet.« 20
»Sie meinen sicher Camilla.« 21
»Ja, das ist das Buch, so was Übertriebenes! Ein alter Mann, der auf der Wippe schaukelt! Ich habe in den ersten Band reingesehen und fand ihn unerträglich; ich konnte mir schon denken, was es für blödes Zeug sein musste, bevor ich das Buch sah. Sobald ich hörte, sie hat einen Emigranten geheiratet, war mir klar, ich würde es nie durchkriegen.«
»Ich habe es nicht gelesen.«
»Da haben Sie auch nichts versäumt, verlassen Sie sich drauf; es ist der grauenhafteste Unsinn, den Sie sich vorstellen können; es handelt von nichts anderem als einem alten Mann, der auf einer Wippe schaukelt und Latein lernt, Ehrenwort, von nichts anderem.«
Mit dieser Kritik, deren Berechtigung Catherine unglücklicherweise nicht beurteilen konnte, gelangten sie an die Tür von Mrs. Thorpes Quartier, und die Empfindungen des scharfsinnigen und unvoreingenommenen Lesers von
Camilla
machten nun denen des pflichtschuldigen und zärtlichen Sohnes Platz, als sie im Flur Mrs. Thorpe begrüßten, die sie schon von oben entdeckt hatte. »Ah, Mutter, wie geht’s?« sagte er und schüttelte ihr kräftig die Hand. »Wo hast du denn den komischen Hut her, du siehst damit ja aus wie eine alte Hexe! Hier ist Morland, und wir haben vor, ein paar Tage zu bleiben, du musst dich also nach ein paar anständigen Betten irgendwo hier in der Nähe umsehen.« Und diese Mitteilungen erfüllten anscheinend die zärtlichsten Wünsche ihres Mutterherzens, denn sie empfing ihn mit den innigsten und überschwänglichsten Bezeugungen der Liebe. Dann verschwendete er auf seine beiden jüngeren Schwestern ein ähnliches Maß brüderlicher Zärtlichkeit, denn er erkundigte sich nach ihrem Befinden und sagte ihnen, dass sie beide sehr hässlich aussähen.
Dieses Benehmen gefiel Catherine gar nicht, aber er war James’ Freund und Isabellas Bruder, und sie ließ sich auch dadurch in ihrem Urteil beeinflussen, dass Isabella, als sie aufbrachen, um den neuen Hut anzusehen, ihr versicherte, John halte sie für das charmanteste Geschöpf der Welt, und John selbst, bevor sie sich trennten, sich um sie als Tanzpartnerin für den Abend bewarb. Wäre sie älter oder eitler gewesen, hätten solche Komplimente keinen Eindruck auf sie gemacht, aber wo Jugend und Schüchternheit zusammenkommen, bedarf es ungewöhnlicher Standfestigkeit, um der Verlockung zu widerstehen, das
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