Kloster Northanger
spät? Ich muss gehen und mich umziehen.«
»Es ist erst Viertel nach vier« (er zeigte ihr seine Uhr), »und Sie sind hier auch nicht in Bath. Kein Theater, keine Bälle, für die Sie sich zurechtmachen müssen. Eine halbe Stunde müsste in Northanger genügen.«
Sie konnte dem schlecht widersprechen und musste wohl oder übel bleiben, obwohl sie ihn aus Furcht vor weiteren Fragen zum ersten Mal seit ihrer Bekanntschaft gern stehengelassen hätte. Sie gingen langsam die Galerie entlang. »Haben Sie seit meiner Abreise Post aus Bath bekommen?«
»Nein, und ich bin ganz erstaunt darüber. Isabella hat so glaubwürdig versprochen, sofort zu schreiben.«
»So glaubwürdig versprochen! Ein glaubwürdiges Versprechen! Das verstehe ich nicht. Ich habe von einer glaubwürdigen Aufführung gehört, aber ein glaubwürdiges Versprechen … So ist es mit der Glaubwürdigkeit von Versprechen. Man sollte sich darauf gar nicht verlassen, da man leicht getäuscht oder gekränkt wird. – Das Zimmer meiner Mutter ist sehr geräumig, nicht wahr? Groß und freundlich, und die Wandschränke sind so praktisch angelegt! Ich finde immer, es ist das bequemste Zimmer im ganzen Haus, und ich verstehe gar nicht, dass Eleanor nicht hier einzieht. Sie hat Sie wohl heraufgeschickt, um es sich anzusehen?«
»Nein.«
»Dann sind Sie ganz und gar aus eigenem Antrieb hier?« Catherine schwieg. Nach einer kurzen Pause, während der er sie aufmerksam betrachtete, fuhr er fort: »Da das Zimmer selbst nichts an sich hat, was Neugier wecken konnte, muss ein Gefühl des Respekts für die Person meiner Mutter, wie Eleanor sie beschrieben hat, Sie hergeführt haben, was ihr Andenken ehrt. Es hat, glaube ich, nie eine bessere Frau auf dieser Welt gegeben. Aber es kommt nicht oft vor, dass Tugend solches Interesse findet. Die häuslichen, anspruchslosen Verdienste einer Unbekannten geben nicht oft zu einer solch zärtlichen, ehrfürchtigen Verehrung Anlass, wie Ihr Besuch sie verrät. Eleanor hat Ihnen sicher eine Menge von ihr erzählt?«
»Ja, eine ganze Menge. Das heißt … nein, nicht viel, aber was sie gesagt hat, war sehr aufschlussreich. Ihr plötzlicher Tod« (sie sprach langsam und zögernd), »und Sie … niemand von Ihnen zu Hause … und Ihr Vater, dachte ich … war vielleicht nicht sehr nett zu ihr.«
»Und aus diesen Umständen«, entgegnete er (er hielt ihren Blick fest), »schließen Sie vielleicht auf die Möglichkeit einer Fahrlässigkeit, eines« (sie schüttelte unwillkürlich den Kopf), »… oder vielleicht … auf etwas noch Unverzeihlicheres.« Sie blickte ihm so voll ins Gesicht, wie sie es noch nie getan hatte. »Die Krankheit meiner Mutter«, fuhr er fort, »der Anfall, der zu ihrem Tod führte, kam plötzlich. Die Krankheit selbst, eine Gallenentzündung, unter der sie schon lange litt, war allerdings chronisch. Am dritten Tag, sobald sie dazu überredet werden konnte, wurde ein Arzt gerufen, ein sehr angesehener Mann, zu dem sie immer großes Vertrauen gehabt hatte. Auf seine beängstigende Diagnose wurden am nächsten Tag zwei weitere Ärzte hinzugezogen, die Tag und Nacht bei ihr wachten. Am fünften Tag starb sie. Während ihr Zustand sich verschlimmerte, sahen Frederick und ich (wir waren beide zu Hause) sie mehrfach und können aus eigener Beobachtung bezeugen, dass sie so umsorgt und gepflegt wurde, wie es die Liebe ihrer Angehörigen oder ihre Stellung im Leben geboten. Die arme Eleanor war tatsächlich abwesend und brauchte zu ihrer Rückkehr so lange, dass sie ihre Mutter nur noch im Sarg gesehen hat.«
»Aber Ihr Vater«, sagte Catherine, »war er betroffen?«
»Eine Zeitlang, sehr. Sie irren, wenn Sie glauben, dass er nicht an ihr hing. Er liebte sie, davon bin ich überzeugt, so gut es ihm gegeben war zu … Wir sind ja von Natur nicht alle gleich zärtlich veranlagt, und ich will nicht behaupten, dass sie im Laufe ihres Lebens nicht unter ihm zu leiden hatte. Aber wenn seine Art sie auch verletzt hat, seine Hochachtung blieb davon unberührt. Seine Verehrung für sie war echt, und wenn auch nicht auf Dauer, so ist ihr Tod ihm doch sehr nahe gegangen.«
»Ich bin sehr froh darüber«, sagte Catherine, »es wäre ja schrecklich gewesen …«
»Wenn ich Sie recht verstehe, haben Sie einen so grauenhaften Verdacht gehegt, dass ich kaum Worte … Liebe Miss Morland, bedenken Sie, wie fürchterlich Ihr Argwohn ist. Woher nehmen Sie die Berechtigung? Bedenken Sie, in welchem Land und in welchem Zeitalter wir
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