Klostergeist
mir … die Worte … mein Beileid, mein aufrichtiges Beileid«, stotterte Hafen. Aus seinem Gesicht war die gesunde Röte des wutschnaubenden Lokalpolitikers gewichen und hatte einer käsigen Bleiche Platz gemacht. Einzig die Äderchen auf Hafens imposanter Nase leuchteten so rot wie noch wenige Augenblicke zuvor.
Minutenlang starrte Hafen abwechselnd auf die wie versteinert den Kopf in den Händen bergende Marlies Engel und auf die Saftpfütze, die sich langsam über die Fliesen ausdehnte. Als der Saft beinahe das Tischbein erreicht hatte, räusperte er sich. »Wie ist er denn gestorben?«
»Ach, Herr Hafen, das ist so entsetzlich, ich kann es gar nicht sagen«, schluchzte die Witwe. »Gestern ist es passiert. Vom Turm auf dem Berg gefallen ist er«, flüsterte sie dann so leise, dass Hafen Mühe hatte, die Worte zu verstehen.
»Oh«, kommentierte er schließlich. Und dann noch einmal: »Oh.« Und dann wurde sein Gesicht mit einem Schlag wieder durchblutet. Der Bürgermeister war tot. Und er, Arthur Hafen, war sein Stellvertreter. Warum zum Teufel hatte ihn keiner vom Tode Engels unterrichtet? Und was musste er nun tun? Die Amtsgeschäfte übernehmen. Ins Rathaus gehen. Seiner Frau Bescheid sagen, die Aushilfe, die sonst nur nachmittags kam, sofort in den Laden bestellen. Seine Gedanken rasten und so bekam er kaum mit, wie Marlies Engel ihn leise, aber eindringlich, zum Gehen aufforderte.
Hier ist Radio Donauwelle, euer Sender für den Kreis Tuttlingen mit einer Eilmeldung aus der Nachrichtenredaktion. Am Mikrofon ist euer Morgenmann Steven und ich kann euch sagen, das haut selbst mich um: Angeblich ist der Spaichinger Bürgermeister Manfred Engel tot. Anscheinend seit gestern. Leute, mehr wissen wir auch nicht, noch ist es nicht viel mehr als ein Gerücht. Aber ihr wisst ja, bei uns seid ihr immer am schnellsten informiert.
Wir halten euch auf dem Laufenden. Bis dahin sorgt unser Werbepartner Optik Gebrüder Karl für Durchblick, denn dort gibt es heute 35 Prozent Rabatt auf alle Fassungen und ein kostenloses Brillenetui obendrauf.
Ganz sicher kein Gerücht ist die Sperrung der Ludwigstaler Straße wegen Kanalarbeiten. Eine Umleitung ist ausgeschildert. Jetzt noch ein Musikwunsch für Andreas aus Bubsheim, der mit ›Waterloo‹ von Abba seinen Kumpel Mario grüßt, dem man gestern bei einem Konzert in Trossingen die Mundharmonika gestohlen hat.
Bei der Polizei beugte sich in diesen Minuten Verena Hälble über den Obduktionsbericht aus Tübingen. Sie versuchte krampfhaft, die medizinischen Fachbegriffe zu verstehen.
»Na, Kollegin?«, meinte Fischer und trat hinter sie. Verena konnte es nicht leiden, wenn man ihr beim Lesen über die Schulter sah. Sie schnaubte leise.
»Darf ich mal?«, fragte Fischer und griff, ohne Verenas Antwort abzuwarten, nach dem Papier.
»Sauber!«, meinte er. »Prellungen, Hämatome am ganzen Körper. Milzriss, Lungenriss, Hämatome auf der Brust, die aber wohl nicht vom Sturz stammen«, las er laut vor.
»Aha, Lateiner, was?«, knurrte Verena.
»Nein, in der Polizeischule aufgepasst«, konterte Thorben Fischer und zwinkerte Verena zu. Die verdrehte die Augen. Schöne Augen, wie Fischer heimlich feststellte.
»Und woran, Herr Professor, ist er nun gestorben?«, blaffte sie.
»An der Höhe?«, sagte Fischer und grinste.
»Haha!«
»Genickbruch. Und wenn er daran nicht gestorben wäre, dann wohl an einem zerquetschten Schädel.« Fischer legte den Obduktionsbericht zurück auf Verenas Schreibtisch. »Hackfleisch, sozusagen. Ich schätze, es ist ganz gut, dass der Engel das nicht überlebt hat, der wäre sonst Gemüse geblieben.«
»Sehr geschmackvoll, Herr Kollege«, knurrte Verena und packte den Obduktionsbericht auf den Papierstapel neben dem Telefon. »Und was folgern Sie aus den Hämatomen an Engels Brust?«, fragte sie spitz.
Thorben Fischer machte mit beiden Händen eine Bewegung, als wolle er einen Mann von sich zurückstoßen.
»Wer das war, wissen Sie aber nicht, Herr Schlaumeier?«
»Nein, Frau Kollegin, ein bisschen Arbeit sollen Sie ja auch noch haben!«
Verena ballte die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Wer zum Teufel hatte nur die grandiose Idee gehabt, ihr ausgerechnet diesen Lackaffen als Assistenten zuzuweisen?
Hier ist Radio Donauwelle, euer Sender für den Kreis Tuttlingen. Ich bin euer Morgenmann Mario und hinter mir rödelt die Nachrichtenredaktion. Leute, ruft bitte nicht mehr an – wir haben das Gerücht, dass der Spaichinger
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