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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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Fingern auf die Tischplatte. »Wenn’s nix Wichtiges ist, dann …«, brummte der Stammtischbruder, der seine übliche Bierration in Gefahr sah.
    »Und ob das was Wichtiges ist, der Knaller ist das.« Arthur Hafen lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah einen nach dem anderen mit bedeutungsschwangerem Gesichtsausdruck an. Bei Mike Ritter blieb sein Blick schließlich haften: »Die nächsten Zeitungsseiten sind quasi schon voll, die Aufmacher kommen nicht aus Tuttlingen in den nächsten Tagen.«
    Ritter ballte unter dem Tisch die Fäuste. Wer oder was in seine Zeitung kam – das entschied immer noch er allein!
    »Kannsch jetzt mal auf den Punkt kommen?«, unterbrach Erich die Stille.
    »Gut, meine Herren, Sie sind die Ersten, die es erfahren.« Hafen beugte sich über den Tisch und dann platzte es aus ihm heraus: »Der Engel ist tot.«
     
    Hier ist Radio Donauwelle mit einer Eilmeldung. Manfred Engel, Bürgermeister der Stadt Spaichingen, ist tot. Das wurde uns soeben von der Polizei bestätigt. Manfred Engel stürzte gestern in den frühen Morgenstunden vom Turm der Kirche auf dem Dreifaltigkeitsberg. Zu den näheren Umständen erfahren wir mehr bei einer Pressekonferenz. Manfred Engel hinterlässt seine Frau Marlies.
    Unser Nachrichtenteam stellt für euch alle Fakten zusammen. In der nächsten Stunde hören wir einen Nachruf auf den Bürgermeister. Dann gibt es auch nochmal Ausschnitte aus dem letzten Interview mit Manfred Engel, in dem er über die Ausbaupläne des Freibads gesprochen hat.
    Leute, ich bin total fertig. Ihr da draußen sicher auch. Für Manfred Engel, wo auch immer er jetzt ist, spiele ich meinen Liebslingssong von Led Zeppelin: ›Stairway to heaven‹.
     
    Pius griff in die Papiertüte, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Johannes hatte ihm schnell noch eine Butterbrezel zugesteckt, als Pius aus dem Haus gehetzt war. Manchmal dachte Pius, die Brüder waren für ihn mehr Familie, als die leibliche es jemals war. Der strenge Vater und die Mutter, die mit Streicheleinheiten geizte, hatten ihn und die Geschwister niemals so umsorgt. Nicht verzärteln, hatten sie das genannt. Eine Butterbrezel zur Aufmunterung? Niemals hatte der kleine Pius das bekommen. Die Liebe, nach der er sich sehnte, hatte er schon früh in den Augen der Holzfigur zu sehen gemeint, die im Herrgottswinkel der guten Stube prangte.
    Der Pater zog den Schlüssel ab und stemmte sich aus dem Wagen. Leise seufzend kaute er auf dem letzten Brezelbissen herum, ehe er zum Haus ging. Hinter dem Küchenfenster erkannte er Marlies Engel.
    Bevor Pius auf den Klingelknopf drückte, kramte er in der Tasche seiner schwarzen Kutte nach dem Schokoladenbonbon, das er aus Johannes’ privatem Lager gemopst hatte – ohne schlechtes Gewissen, denn Johannes lagerte die Schokodrops einzig und allein für ihn. Noch etwas, das Pius ein wohliges Gefühl vermittelte. Seine Mutter hatte für ihn und die drei Brüder niemals auch nur ein Zuckerstück übrig gehabt.
    Als Marlies Engel die Tür öffnete, schob Pius den Drop mit der Zunge in die Backentasche. Die leicht bittere Süße machte ihm den Anblick der verheulten, zerzausten Witwe etwas leichter.
    »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind«, flüsterte Marlies Engel und hielt ihm die Hand zum Gruß hin. Ihr Händedruck war kraftlos und die eisigen Finger lagen schlaff in Pius’ Hand. »Mein Mann hätte sicher gewollt, dass Sie die Trauerfeier gestalten.« Tränen traten ihr in die Augen. Hastig wischte Marlies Engel sie mit dem Handrücken fort.
    Pius nickte stumm und folgte Frau Engel durch den Flur. Halb amüsiert, halb erschrocken registrierte er, dass die Witwe am linken Fuß einen blauen und am rechten einen grauen Socken trug. Das Haar an ihrem Hinterkopf war ungekämmt und zerstrubbelt. Pius zerknackte das Schokobonbon mit den Backenzähnen und schluckte es hinunter.
    »Bitte«, meinte die Hausherrin und bedeutete Pius mit ausgestrecktem Arm, ins Wohnzimmer zu gehen.
    Der hatte Mühe, einen erstaunten Aufschrei zu unterdrücken. Stumm schickte er ein Stoßgebet zum Himmel: Wohin er auch blickte, überall lagen Papiere. Briefumschläge, aufgeschlagene Aktenordner, Pappkisten voller Papierschnipsel, lose Blätter. Die Anrichte, die er bei seinen vergangenen Besuchen stets blank poliert und mit wenigen ausgesuchten Stücken dekoriert gesehen hatte, mutete wie ein Aktenschrank an, in dem ein Tornado gewütet hatte. Die roten Kissen mit den gestickten

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