Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
wurden und auf den leeren Blisterstreifen starrten, den Jenny aus dem Mülleimer gezupft hatte.
»Was ist das für Zeug?«, fragte Gregor.
»Beruhigungsmittel«, sagte Jenny. »Ein ziemlich starkes sogar, ähnlich wie Valium, nur von einer anderen Firma. Wenn sie das alles auf einmal geschluckt hat …«
Die beiden starrten auf den Pillenstreifen.
»Wir brauchen eine Toxi«, sagte Gregor. »Und ich will wissen, woher sie das Zeug hat.«
Als Gregor wenige Minuten später das Auto aufschloss, hing das Kreidler-Typenschild noch an seinem Schlüsselring.
28. Juni, Tag 1 nach Gregors Festnahme
»Was gibt es Neues von Gregor?«, fragte Martin, noch bevor er seinen karierten Stockschirm an den Garderobenständer hängte. Die Sonne schien vom blauen Himmel, aber die Vorhersage hatte das Wort Schauer in die Welt gesetzt. Kein gemütsmäßig normal dimensionierter Mensch würde auf so etwas reagieren. Was wieder einmal bewies: Martin war nicht normal.
Katrin trug Jeans und eine leichte Bluse, unter deren durchscheinendem Stoff genug Platz blieb, damit ich die Farbe der Paradieskörbchen checken konnte. Mintgrün. Nicht so gut wie das rote Zeug, das Gregor und mir am besten gefiel, aber auch nicht schlecht.
»Nichts.«
Martin erstarrte. »Nichts?«
»Er hat sich nicht bei mir gemeldet.« Katrins Stimme klang zickig, beleidigt, genervt, irgendwas in der Art. Den Tonfall kannte ich, aber er hatte bisher nie Gregor gegolten.
Ich löste mich von der grünen Spitze und wandte mich Martin zu.
»Ich hätte dir ja gern erzählt, dass Gregor den Düsselrüsseln nicht die Wohltat seiner Stimme zuteil werden ließ, aber du hast dich ja schön in deiner kleinen, heilen Welt abgeschottet und deinen besten Freund vergessen.«
Martin runzelte genervt die Stirn.
Katrin schnaubte durch die Nase. »Vierzehn Stunden ist es her, dass die zwei Pfeifen ihn mitgenommen haben, und er hält es nicht einmal für nötig, mich anzurufen.«
»Vielleicht …« In Martins Denkschüssel tauchten Bilder auf, die nicht aus der Werbung für das deutsche Justizsystem stammten. Gregor, die zwei Bullen und ein Verhörzimmer mit einer Lampe, die auf Gregors Augen gerichtet war. Gregor fiel vor Müdigkeit fast vom Stuhl, aber diebeiden Bullen kannten kein Mitleid, schossen ihre Fragen ab und grinsten mit hämischen Fratzen auf Gregor herunter. »Vielleicht kann er nicht«, murmelte Martin.
»Hast du Lack gesoffen?«, fragte ich. »Gregor hat die Nacht gemütlich auf einer steuerfinanzierten Pritsche in einer Zelle verbracht, die so sauber und aufgeräumt ist wie dein Arzneischrank im Bad.«
Martin schüttelte das Folterbild aus seinem Hirn und fragte sich, wie er, der bedingungslos an Recht und Gesetz glaubte, nur so etwas Lächerliches glauben konnte. Natürlich unterstellte er mir eine Manipulation seiner Gedanken, aber in diesem Fall war ich total unschuldig. Vielleicht schlummerte in Martins Unterbewusstsein doch ein klitzekleiner Funke Zweifel an der Unfehlbarkeit des bestehenden Systems.
»Er hat doch bestimmt einen Anruf frei«, maulte Katrin in einem Tonfall, der mich an Batteriesäure erinnerte.
Martin zog den Kopf zwischen die Schultern. Er ist nicht konfliktfähig. Katrin hingegen ist ein lebender Konflikt mit gelegentlichen friedlichen Momenten. Okay, die harmonischen Phasen kamen durchaus häufiger vor, aber der kleinste Anlass reichte, um ihr Blut in Wallung zu bringen. Sie rebellierte gegen Vorgesetzte, legte sich mit Staatsanwälten an und ließ sich generell nicht den Mund verbieten. Ich fand es immer wieder erstaunlich, dass Martin und Katrin sich nicht nur wirklich mochten, sondern auch immer zueinander standen, obwohl sie oft so gegensätzliche Ansichten von der richtigen Lösung eines Problems hatten. Martin bevorzugte das sachliche Gespräch, Katrin wollte mit dem Kopf durch die Wand. Ich lag generell mehr auf Katrins Linie. In der aktuellen Situation konnte ich natürlich sehr gut verstehen, dass sie wütend war. Dabei wusste sie noch nicht einmal die Hälfte von dem, was ich wusste.
»Die Kripos haben Gregors Schlüsselanhänger am Tatort gefunden«, berichtete ich Martin. Er wurde blass.
Katrin war so aufgebracht, dass sie Martins Entsetzen nicht bemerkte.
»Wie kommt der dahin?«, fragte Martin mich.
Ein Punkt für Loyalität.
»Der Mörder wird die Plakette am Tatort verloren haben«, schlug ich vor.
»Gregor ist unschuldig«, sagte Martin, und zwar laut.
»Warum benimmt er sich dann so komisch?«, herrschte
Weitere Kostenlose Bücher