Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
sicherte die Spuren an einer jungen Frau, deren Nasenlöcherso weiß waren wie die Ränder eines Cocktailglases mit Zuckerrand. Vom Rest ihres Gesichts war nichts zu erkennen, denn die Perücke mit den schwarzen Haaren war verrutscht und hing ihr über die Augen. Außerdem war sie spindeldürr, mit Minirock und bauchfreiem Top bekleidet und, wie Martin gleich vor Ort vermutete und bei der Obduktion bestätigt fand, durch einen Schlag auf den Kehlkopf ums Leben gekommen. Der Nachtclub, an dessen Hinterausgang sie gefunden worden war, hieß Karpi Diem .
Gregor kam also an, ließ ein paar zusätzliche Uniformierte anrücken, die die Personalien der Zappeldackel aufnahmen, setzte Karpi in seinem Büro und Karpis rechte Hand in einem Besenschrank fest und überwachte die Fundortsicherung, bis die Spusi kam.
Dann ging er hinein.
Allein.
Er ging in Karpis Büro und plauderte mit dem Kerl, der der größte lebende Widerspruch in der Kölner Halb- und Unterwelt ist. Er stammte aus einer dieser Republiken, die beim Zerfall der Sowjetunion plötzlich nicht wussten, ob sie Diktatur oder Demokratie werden wollten, und war mit siebzehn Jahren nach Deutschland gekommen. Er sprach kein Wort Deutsch und hätte vermutlich eine Karriere wie ähnlich gelagerte Fälle hingelegt, wenn die zweiundachtzigjährige Nachbarin seiner Eltern nicht gerade ihren Mann verloren hätte. Sie suchte eine Aufgabe und fand Karpi. Er lernte bei ihr Deutsch und verliebte sich in Ringelnatz. Sie hatte jemanden, der ihr die Einkäufe nach Hause trug und sich die Fotos ihres Mannes anschaute. Als sie starb, wartete Karpi, damals einundzwanzig Jahre alt, eins siebzig groß und durchtrainiert wie ein Olympiasieger, bis zur Beerdigung, dann verschwand er. Drei Jahre später kam er zurück, zweihundertfünfzig Kilo schwerund mit einer Brieftasche, die aus allen Nähten platzte. Kein Mensch wusste, wo er die Zwischenzeit verbracht hatte.
Der aktuelle Karpi wiegt immer noch zweihundertfünfzig Kilo und futtert ununterbrochen Pistazienkerne, Walnüsse oder Baklava. Er hat eine Stimme wie die Raupenkette eines Leopard-Panzers, aber er zitiert immer noch Ringelnatz. Es wird berichtet, dass man bei ihm jede beliebige Ware der Welt kaufen oder über ihn verkaufen kann, aber er ist noch nie bei irgendeinem illegalen Ding erwischt worden. Karpi also drückte sein Bedauern über den Todesfall in seinem Hinterhof aus, sagte, in seinem Schuppen werde nicht gekokst und wenn doch, dann wüsste er nichts davon, und knackte während des Gesprächs mit Gregor ungefähr ein halbes Kilo Pistazien.
Gregor dankte für die Auskünfte und bat um ein Büro, in dem er den auffallend nervösen Assistenten verhören konnte. Karpi gewährte ihm Zugang zu einem kleinen Zimmer, nach dessen Zweck Gregor angesichts eines mit grünem Stoff bezogenen, runden Tisches nicht fragen musste. Ich bin sicher, wenn Gregor Karpi darauf angesprochen hätte, hätte dieser ihm eine absolut glaubwürdige und wasserdichte Story über eine seit Kindertagen schwelende und kürzlich ausgebrochene Allergie gegen Holzpolitur aufgetischt. Karpi ist einfach nicht zu fassen.
Gregor jedenfalls bat die rechte Hand des großen Fettsacks ins Pokerzimmer. Als er die Tür hinter sich schließen wollte, drückte Karpi sich mit hinein.
Der Assistent wurde blass. Er versteckte sich hinter Gregor. Karpi sagte nichts, aber er machte eine Geste, die jeder halbweltgebildete Mensch kapiert: Er führte langsam seinen fetten Zeigefinger über seinen fetten Hals. Als Gregor sich umdrehte, um Karpi hinauszuschicken, setzteder Assistent Gregor mit einem Hieb des Ellbogens gegen das Ohr außer Gefecht, griff sich dessen Dienstwaffe und machte seinem eigenen, verpfuschten Leben ein Ende.
Pikant wurde die Sache dadurch, dass die Tote die Tochter von Gregors Cousine war. Das allerdings stellte sich erst heraus, als Gregor, der von dem Fall abgezogen worden war, die Akte mit dem Foto der Toten auf Jennys Tisch liegen sah. Er kotzte in Jennys Schoß, womit sich die Frage, ob er die Identifizierung lieber noch eine Weile für sich behalten wollte, erledigt hatte. Die Verwandtschaft war Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Gregor unterstellten, er habe den schleimigen Olm erschossen, weil der seine Lieblingsnichte auf dem Gewissen hätte.
Karpi jedenfalls sagte vor der Untersuchungskommission aus, dass sein Assistent häufig mit laufender oder blutender Nase zum Dienst erschienen war und während der mutmaßlichen Tatzeit mehrfach
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