Knecht – Die Schattenherren II
den Seelennebel, über das Meer der Erinnerung … Selbst wenn sich die Wunde nicht entzündete, wäre Sutor ein Krüppel, und er hätte immer Schmerzen.
Bren kraulte noch einmal den Hals, umfasste dann die Schnauze, zärtlicher, als er je eine Frau berührt hatte, und zog den Kopf nach hinten. Sutor ließ es geschehen. Er vertraute ihm bis zuletzt.
Die Dolchklinge war lang genug, um das Herz zu erreichen, als er sie in die Brust stieß.
»Wir haben getan, wozu wir gekommen sind. Gehen wir.«
»Nur noch ein paar Stunden bis zur Küste«, stellte Bren fest.
Von Blutsteins Pyramide aus war der Verfall deutlich zu erkennen. Die Leuchtpflanzen, die Tamiod über Jahrzehnte in ihre kalte Helligkeit getaucht hatten, faulten. Ihr Gestank lag in der Luft wie bei einem Acker, der mit Gülle getränkt war. Selbst hier oben konnte man ihn riechen. Noch waren sie nicht vollständig erloschen, aber ihre Blätter lagen schlaff am Boden, glommen nur noch wie ein Docht, dem das Wachs ausging. So dunkel war die Stadt lange nicht gewesen. Aber war die Stunde vor der Morgendämmerung nicht auch in Ondrien finster? In manchen Tempeln fanden zu dieser Zeit besondere Andachten statt, in denen Seelenbrecher die Kraft der Schatten priesen und ihr erneutes Erstarken für die Zeit prophezeiten, wenn die Sonne wieder unter den Horizont sänke.
»So endet es also«, sagte Goran.
Kopflos schwärmten die Chaque durch die Gassen. Hier oben hatten sie den Aufbau eingerissen, der ihm als Residenzsaal gedient hatte. Sie befolgten keine Befehle mehr. Niemand wusste, was in ihren Gedanken vorging, aber dass sie in Aufruhr waren, war offensichtlich. Am besten ging man ihnen aus dem Weg. Wer ihnen zu nahe kam, konnte unvermittelt angegriffen werden, ob er ein Edler, ein Kind oder ein anderer Chaque war.
»Ja«, sagte Velon. »Jetzt und hier endet Euer Traum.« Er wandte sich Goran zu. Gemeinsam mit Bren und Lisanne, die in ihrer erhabenen Unbewegtheit einem vollkommenen Marmorbildnis glich, standen sie zwischen den Trümmern auf der Pyramide. Kiretta war mit einigen ihrer Leute ins Innere gestiegen, sie suchte nach Ribunns Rebellen, die angeblich gefangen und dort eingekerkert worden waren und zu denen sie eine gewisse Verbundenheit verspürte, wohl wegen ihrer Freiheitsliebe.
Velon sah Goran an. »Auch Ihr müsst nun enden.«
Die Augen in dem kindlichen Gesicht blinzelten.
Velon verbeugte sich auf Lisanne hin. »Schattenherzogin, wenn Ihr Euch den SCHATTENKÖNIG gewogen halten wollt, ist es nicht klug, IHN von der Erschaffung einiger Osadroi gegen SEINEN Willen wissen zu lassen.«
Sie drehte Velon das Gesicht zu.
Jede ihrer Bewegung löste in Bren das Verlangen aus, niederzuknien und ihr zu Diensten zu sein. Es war nicht mehr so stark wie in der Feuerburg, aber weit mehr als Einbildung.
»Goran ist mein Kind«, sagte sie.
Bren ertappte sich dabei, dass er sich schützend vor Blutsteins König stellen wollte.
»Er hat länger gelebt als andere Kinder«, versetzte Velon ungerührt.
»He!«, protestierte Goran. »Wieso redet Ihr über mich, als sei ich nicht hier? Sprecht mit mir!«
»Wäre nicht meine Ergebenheit zur Schattenherzogin«, sagte Velon mit einer Sanftheit in der Stimme, wie sie ein samtenes Dolchfutteral besaß, »Ihr hättet den Abmarsch aus der Feuerburg nicht mehr erlebt.«
Lisanne sah wieder hinunter. Dort unten standen die Schattenrosse, an ihren brennenden Augen gut zu erkennen, hinter ihnen die geschlossene Kutsche, in der nicht nur Gadior ruhte, den eine starke Müdigkeit überkommen hatte. Auch Helions Sarkophag war darin, ein schwerer, aus Stein geschnittener Behälter. Niemand hatte zu klagen gewagt, als sie ihn hineingewuchtet hatten.
»Ich habe der Traumgöttin stets gut gedient!«, rief Goran.
»Es gibt keine Traumgöttin mehr. Lisanne ist jetzt wieder eine Schattenherzogin.«
Noch trägt sie ihre Krone nicht, dachte Bren. Er spürte das Gewicht des Flammenschilds, den sie ihm gegeben hatte, auf seinem Rücken. Es war ihm angenehm.
Goran sah Hilfe suchend zu Lisanne, die aber kein Interesse mehr für ihre Umgebung zeigte und ungerührt nach Westen blickte.
»In Ondrien wärt Ihr niemals erwählt worden«, erläuterte Velon. »Hier wart Ihr nützliche Werkzeuge, Euer Bruder und Ihr, aber in Ondrien sind Osadroi keine Diener, sondern Herren. Wer über die Schatten gebietet, gehört zu den Meistern, die die Welt formen.«
»Ich bin ein König!« Gorans Stimme kippte.
Velon lächelte dünn. »Glaubt Ihr das
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