Knecht – Die Schattenherren II
zugänglich war, wenn man den Raum durchquerte, in dem sie auf einem großen, mit roten Laken bezogenen Bett schlief, gab es keine Einrichtungsgegenstände außer zwei Kristallen, die auf Dreibeinen standen und ein helles Licht ausstrahlten. Mit der gleichen Zärtlichkeit, die Bren schon während der Reise mehrfach beobachtet hatte, strich Lisanne über den Deckel des Sarkophags. Der Stein war mit Schnitzereien versehen, die Schilde und Schwerter zeigten, die um einen Baum mit wuchernder Krone angeordnet waren, über dem die drei Monde standen. »Wir warten«, befahl sie.
Bren nahm den Flammenschild ab und stellte ihn mit der Spitze auf den Boden, als er an der Wand Stellung bezog. Hier war er nicht im Weg, konnte aber zugleich jeden aufhalten, der in feindseliger Absicht durch die einzige Tür eindränge. Das war natürlich äußerst unwahrscheinlich, aber wenn seine Anwesenheit hier überhaupt einen Sinn haben sollte, dann den, Lisanne zu schützen. Jetzt, da er in ihrer Nähe war, kam ihm das ganz selbstverständlich vor, wie der Sinn seines Lebens. Aber er wusste, dass diese Erkenntnis nicht immer so präsent war. Wenn sie schlief, wenn er neben Kiretta lag oder auch nur getrennt von ihr im Palast unterwegs war, dann fragte er sich, ob dies wirklich die Aufgabe war, mit der er Ondrien am besten diente. Er war ein General, hatte bewiesen, dass er Heere in die Schlacht führen, Kriege gewinnen konnte. Jetzt warer Schildritter, eine Mischung aus Herold und Leibwächter. Weder für das eine noch für das andere war er ausgebildet. Er war immer besser im Angriff als in der Verteidigung gewesen, seine stärkste Waffe, der Morgenstern, eignete sich kaum zur Parade und überhaupt nicht, um jemand anderen zu decken. Die Feinheiten des Protokolls, die ein Herold mit der Muttermilch aufsog, waren für ihn schon immer dünnes Eis gewesen. Aber jetzt war er bei Lisanne, und daher waren die Zweifel an der Aufgabe, die sie ihm zuwies, jetzt nur eine ferne Erinnerung. So fasste er den Stab seines Morgensterns und wartete. Wie sie befohlen hatte.
ELIEN kam allein. ER betrat den Raum wie eine Raubkatze. Helions Klinge leuchtete so blutrot wie die aus einem Edelstein geschnittene Krone des SCHATTENKÖNIGS . Bis auf diesen Schmuck war ER schlicht gekleidet, in Schwarz, wie es SEINE Gewohnheit war. ER sah Lisanne an, die tief knickste. Drei der Gardisten knieten nieder, ebenso wie Bren, der vierte beließ es bei einer tiefen Verbeugung, die Faust um den Schwertgriff geschlossen. Bren hielt den Atem an. Offenbar war der junge Mann in seiner Verehrung für die Schattenherzogin und seiner Treue zu ihrem Befehl gefangen. ELIEN überging den Vorfall. Nachlässig winkte ER mit der Hand, man möge sich erheben.
Lisanne ließ den SCHATTENKÖNIG nicht aus den Augen, als ER an den Sarkophag trat und sich mit beiden Händen daraufstützte. Der Schild verriet Brens Anspannung durch die Flammen, die so hell aus dem Wappen züngelten, dass sie tiefe Schatten an die gegenüberliegende Wand warfen. Die Sorge stand überdeutlich in Lisannes blauen Augen. ELIENS Hände waren die eines Künstlers, sie hätten einem Harfenspieler gehören können, aber Bren erahnte die Kraft, die darin lag. Wie lang hatte sich die Finsternis in diesem Körper gesammelt? Zehntausend Jahre? Zwanzig? Hundert? ELIEN hätte den massiven Steindeckel zu Staub zerreiben können, hätte ER es gewollt.
»Erzähle mir von deinen Söhnen«, forderte ER .
»Wenn EUCH jemand berichtete, ich sei ihre Mutter gewesen, so ist das nicht richtig. Ich schuf die beiden, wie ich andere zuvor in die Schatten führte.«
»Wirklich ganz so? Nach allen Gesetzen, die ich euch dafür gab?«
Lisannes Schweigen war schrecklich. Es schmerzte in Brens gesamtem Körper.
Endlich antwortete sie. »Ihre Herzen verblieben in ihrer Brust. Es gab keine Möglichkeit, sie EUCH zu schicken. Der Seelennebel verhinderte es.«
»Hast du es versucht?«
Demütig senkte sie den Kopf. »Nein, MAJESTÄT . Es erschien sinnlos.«
»Sinnlos.« ELIENS Flüstern war bedrohlicher, als es ein Schrei hätte sein können. »Du bist eine Schattenherzogin, Lisanne. Eine der besten. Ich liebe dich wie kaum eine andere, das weißt du.«
»Was wisst IHR von Liebe, MAJESTÄT ?«, fragte sie bitter.
Er legte den Kopf leicht schräg. »Vielleicht willst du mich etwas darüber lehren?«
Sie schwieg.
»Nein?«
»Es steht mir nicht an, EUCH zu lehren.«
»Aber den Sinn meiner Gesetze infrage zu stellen, das steht dir
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