Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
quietschen. Meinem Rücken geht es nicht sonderlich gut. Die Matratze ist durchgelegen. Kein Wunder, sie stammt ja noch aus uralten Zeiten, aus einer Ära, in der eine Matratze fürs Leben zu halten hatte. Fürs Sterben auch und darüber hinaus. Unvorstellbar für den modernen Großstädter, den an allen Ecken ein spezieller Discounter an das kurze Haltbarkeitsdatum von Schlafunterlagen gemahnt! Die hässliche Front eines solchen Matratzenoutlets habe ich bislang weder in Prüm noch in Stadtkyll oder Sankt Vith gesehen. Wohl, weil man in der Eifel Betten eben noch eine Geschichte zugesteht. Auf dieser Matratze hatte Hein als Teenager gelegen und wahrscheinlich überlegt, wie er seinen Eltern beibringen könnte, dass sie nie Enkelkinder haben würden; auf ihr hat einmal ein alter Freund von mir genächtigt, und viel später verbrachten Gudrun und David hier ihre ersten Liebesnächte.
Das Kapitel, um das ich die Vielbeschlafene heute Nacht bereichert habe, wird allerdings ihr letztes sein. Eine neue Matratze muss schleunigst her. Was habe ich dem alten Herrn nur zugemutet! Aber er hat sich nie beschwert. Chapeau.
»Weißt du, Linus«, sage ich zu meinem Hund, der die Nacht tatsächlich vor meinem Bett verbracht hat, »auf solche Gedanken kommt man nur, wenn man andere, scheußlichere verdrängt. Aber das geht nicht mehr; ich muss mich jetzt dem neuen Tag stellen. Komm, wir wandern rüber und sehen nach, ob Marcel den Mörder heute Nacht gefasst hat.«
Es mildert das Unbehagen, die Dinge laut auszusprechen. Ich klinge ruhiger, als ich mich fühle.
»Oh«, sage ich, als ich die Haustür öffne und die scharf abgegrenzte kniehohe weiße Wand unmittelbar vor mir sehe. Offensichtlich hat es die ganze Nacht unablässig geschneit. Ein paar schwere Flocken kommen immer noch runter.
Das Haus gegenüber liegt im Dunkel.
Linus zieht klagend den Schwanz ein. Er will nicht hinaus in die feindliche Winterwelt, aber es wird ihm nichts anderes übrig bleiben. Ich muss wissen, was drüben los ist. Sieht so aus, als ob auf dem Hof gegenüber neben dem Allradmonster ein anderer Wagen stehe. Unter einem Schneehaufen, der erheblich umfänglicher ist, als er sein dürfte, wenn sich darunter der Jeep der belgischen Polizei verbergen würde, mit dem Marcel gestern angekommen ist. Und den er vor einem potenziellen nächtlichen Besucher hatte verstecken wollen.
Ich mühe mich, Panik zu unterdrücken, und rede mir wieder laut Mut zu: »Erstens: Zwei gut ausgebildete belgische Polizisten sind in meinem Haus. Zweitens: Die liegen auf der Lauer. Drittens: Wenn der Mörder die Polizisten trotzdem überrumpelt hätte, wäre er abgehauen und hätte sein Auto nicht einschneien lassen.«
Ich lasse die Haustür offen und wühle im Flurschrank daneben nach schneeresistentem Schuhwerk. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich mein Hund der riesigen Zimmerpflanze nähert.
»Nein, Linus!«, schimpfe ich. »Nicht Gummibaum! Gummistiefel! Und jetzt komm!«
Ich muss ihn an der Leine förmlich über die zugematschte Straße ziehen. Um mich zu strafen, hockt er sich genau vor meiner Haustür in den Schnee und verrichtet dort sein großes Geschäft, aber das ist mir jetzt auch egal. Ich drücke die Klinke sacht hinunter. Die Tür ist von innen verschlossen. Natürlich.
Also höre ich zum ersten Mal, wie meine Haustürklingel von draußen klingt. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Wer wird öffnen? Ich trete ein paar Schritte zurück, will sicherheitshalber Deckung hinter dem zugeschneiten großen Gefährt suchen. Stürze dabei rücklings in eine Schneewehe.
Die Tür geht auf und die Lampe über dem Eingang an.
»Katja?«, ruft Marcel.
Ich rudere mit den Armen. Ist gar nicht so leicht, sich aus so einem Schneeberg herauszukämpfen. Ich habe gerade wieder die Balance gewonnen, als es über mir plötzlich fürchterlich rumort. Dann höre ich gar nichts mehr. Eine Schneewechte ist vom Dach gerutscht und hat mich voll getroffen.
Marcel gräbt mich aus. Mit bloßen Händen. Die sind genauso blau gefroren wie seine nackten Beine, die unter meinem weiten roten Bademantel geradezu zerbrechlich aussehen.
»Ist dir was passiert, mon chou ?«, fragt er besorgt, als er mir den Arm um die Schultern legt und mich zur Tür geleitet.
»Scheiße«, sage ich. Weil er zu allem Überfluss auch noch in die von Linus getreten ist. Mit nackten Füßen.
»Zusammen duschen«, schlägt er vor.
Der Tag könnte nicht schöner anfangen.
Später versperrt mir Marcel den Weg,
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