Knochen zu Asche
wir beide ein verständnisloses Gesicht.
»Einige der neueren Verschlüsselungsprogramme liefern einen plausiblen Datenschutz, indem sie zwei Schichten erzeugen. Der Benutzer speichert harmlose Dateien auf der ersten Schicht. Steuererklärungen, Geschäftskontakte, Daten, die ein vernünftiger Mensch vielleicht verschlüsseln möchte. Die zweite Schicht ist eine Speicherebene, die im ungenutzten Raum auf dem Speichermedium versteckt ist.«
»Cormier benutzt also ein ganz einfaches Passwort für Schicht eins, weil ihm diese Dateien im Grunde genommen egal sind«, vermutete ich. »Das ist nur eine Tarnung. Was ihm wirklich wichtig ist, das ist Schicht zwei.«
»Genau.Wenn bei dieser Art von Strukturierung jemand anfängt, herumzusuchen, findet derjenige einige Dateien und einiges an freiem Speicherplatz, und alles sieht völlig okay aus. Wenn man sich dann den freien Speicherplatz Byte um Byte anschaut, findet man nichts als Datensalat.«
»Ist das nicht verdächtig?«
Lesieur schüttelte den Kopf. »Betriebssysteme löschen normalerweise gelöschte Dateien nicht wirklich. Sie ändern einfach nur eine Markierung, und die neue bedeutet: ›Diese Datei wurde gelöscht und kann überschrieben werden.‹ Alles, was in der Datei war, bleibt weiterhin im Speicher, bis dieser Platz benötigt wird, das heißt, wenn man sich die ungenutzten Bereiche auf einer normalen Festplatte anschaut, findet man lauter Bruchstücke von alten Dateien. Erinnern Sie sich noch an Ollie North?«
Ryan und ich sagten beide Ja.
»Dadurch konnten die Iran-Contra-Ermittler die Informationen wiederherstellen, die Ollie gelöscht hatte. Ohne diese Bruchstücke alter Dateien, ob es nun schlichter Text ist oder erkennbar strukturierte Computerdaten, zeichnet reiner Datensalat sich durch das aus, was ihm fehlt.«
Lesieur deutete mit dem Kinn auf den Monitor. »Was diesen Kerl verrät, ist die Tatsache, dass ich Megabyte um Megabyte Datensalat finde.«
»Sie vermuten also, dass es verschlüsselte Dateien sind, aber Sie können sie nicht lesen.«
»C’est ça. Der Typ arbeitet mit Windows XP. Wenn nur ein ausreichend langes und willkürliches Passwort verwendet wird, schafft sogar das Standard-Tool von XP Pro Verschlüsselungen, die nur äußerst schwer zu knacken sind.«
»Haben Sie’s schon mit Cormier probiert?«, fragte Ryan.
»O ja.«
Lesieur schaute auf ihre Uhr und stand dann auf.
»Ein gigantischer Mikrospeicher in einer Mehldose. Zwei-Schichten-Verschlüsselung. Dieser Kerl versteckt etwas, von dem er ganz ernsthaft will, dass es nicht gefunden wird.«
»Und jetzt?«, fragte Ryan.
»Wenn der Gerichtsbeschluss es zulässt, konfiszieren Sie die Hardware. Wir finden dann schon, was dieser Kerl da versteckt hat.«
Um eins ließen wir Chenevier und Pasteur in der Wohnung zurück, damit sie ihre Arbeit abschlossen und die Tür zusperrten. Ich fuhr direkt in Cormiers Studio. Es war, als würde man aus der Kälte der Arktis in die Hitze und den Dreck der Tropen kommen.
Hippo trug mal wieder ein Hawaiihemd. Rote Schildkröten und blaue Papageien, alles feucht und schlaff. Er hatte zwei weitere Schränke bearbeitet.
Ich erzählte ihm von dem USB Flash Drive. Seine Reaktion kam augenblicklich.
»Der Kerl steht auf Pornos.«
»Vielleicht.«
»Was sonst? Glauben Sie, der hat dort Kirchenmusik abgespeichert? «
Da Bilder und Videos sehr viel Speicherplatz benötigen, vermutete auch ich Pornos. Aber ich mag keine vorschnellen Reaktionen.
»Wir sollten keine übereilten Schlüsse ziehen«, sagte ich.
Hippo blies Luft durch die Lippen.
Um einen Streit zu vermeiden, wechselte ich das Thema.
»Haben Sie je von einer Insel mit dem Namen l’Île-aux-Becs-Scies gehört?«
»Wo soll das sein?«
»In der Nähe von Miramichi.«
Hippo überlegte einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf.
»Was bedeutet der Name?«
»Ich glaube, bec scie ist eine Entenart.«
Irgendetwas meldete sich in meinem Hinterkopf.
Enteninsel? Was?
Ich suchte mir einen Schrank und arbeitete Mappe um Mappe durch.
Kinder. Haustiere. Paare.
Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Ging es mir wirklich
nur um vorurteilsfreies Denken? Oder wollte ich es einfach nicht wahrhaben? Cormier ein Pornograf. Cormier ein Fotograf, der Frauen und Kinder ablichtete.Waren die Schlussfolgerungen einfach zu schrecklich?
Und warum diese Meldung aus dem Unterbewusstsein? Enteninsel?
Zum Teil die Hitze. Zum Teil Hunger. In meiner rechten Schädelhälfte brauten sich
Weitere Kostenlose Bücher