Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
Hakennase vor mir, seine nachdenklich zusammengekniffenen, engstehenden Augen.
»Das Opfer wurde ermordet. Die Umstände sind…«, wieder zögerte er, »… ungewöhnlich.«
»Erzählen Sie.« Ich nahm den Hörer in die andere Hand und wischte mir die Handfläche am Bademantel ab.
»Die Leiche wurde in einer Truhe gefunden. Vielfältige Verletzungen. LaManche macht heute noch die Autopsie.«
»Welche Art von Verletzungen?« Ich starrte ein Fleckenmuster auf meinem Bademantel an.
Ich hörte ihn tief durchatmen. »Eine Vielzahl von Stichwunden und Druckstellen an den Handgelenken. LaManche vermutet außerdem einen Tierangriff.«
Ich fand Claudels unpersönliche Redeweise sehr ärgerlich. Eine weiße Frau. Das Opfer. Die Leiche. Die Handgelenke. Nicht einmal ein Personalpronomen.
»Und es kann sein, daß das Opfer verbrüht wurde«, fuhr er fort.
»Verbrüht?«
»In einigen Stunden wird LaManche mehr wissen. Er ist im Labor und macht die Autopsie.«
»O Gott.« Obwohl immer ein Gerichtsmediziner Dienst hat, wird an einem Wochenende nur selten eine Autopsie vorgenommen. Es mußte also ein außergewöhnlicher Fall vorliegen. »Wie lange ist sie schon tot?«
»Die Leiche war noch nicht ganz gefroren, also war sie vermutlich weniger als zwölf Stunden im Freien. LaManche versucht, den Todeszeitpunkt näher zu bestimmen.«
Alles in mir sträubte sich vor der nächsten Frage.
»Warum glauben Sie, daß es Anna Goyette sein könnte?«
»Alter und Beschreibung passen.«
Ich fühlte mich ein wenig schwach.
»Und welche körperlichen Merkmale meinen Sie?«
»Dem Opfer fehlen die unteren Backenzähne.«
»Wurden sie gezogen?« Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, kam ich mir blöd vor.
»Dr. Brennan, ich bin kein Zahnarzt. Außerdem hat die Leiche auf der rechten Hüfte eine kleine Tätowierung. Zwei Figuren, die ein Herz halten.«
»Ich rufe Annas Tante an und melde mich dann wieder bei Ihnen.«
»Ich kann –«
»Nein, ich mache das. Ich muß noch etwas anderes mit ihr besprechen.«
Er gab mir seine Pager-Nummer und legte auf.
Meine Hand zitterte, als ich die Nummer des Konvents wählte. Ich sah Annas Augen, die erschrocken unter einem blonden Pony hervorstarrten.
Bevor ich mir meine Fragen zurechtlegen konnte, meldete sich schon Schwester Julienne. In den ersten paar Minuten tat ich nichts anderes, als ihr für den Hinweis auf Daisy Jeannotte zu danken und ihr von den Tagebüchern zu erzählen. Mein eigentliches Anliegen schob ich vor mir her, aber sie durchschaute mich sofort.
»Ich weiß, daß etwas Schlimmes passiert ist.« Ihre Stimme war sanft, aber die Anspannung darin war deutlich zu erkennen.
Ich fragte sie, ob Anna schon wiederaufgetaucht sei. War sie nicht.
»Schwester, man hat eine junge Frau gefunden –«
Ich hörte Stoff rascheln und wußte, daß sie sich bekreuzigte.
»Ich muß Sie einige persönliche Dinge über Ihre Nichte fragen.«
»Ja.« Kaum hörbar.
Ich fragte nach den Backenzähnen und der Tätowierung.
Sie blieb nur etwa eine Sekunde stumm, dann hörte ich sie zu meiner Überraschung lachen.
»Ach du meine Güte, nein, nein, das ist nicht Anna. Allmächtiger, nein, sie würde sich nie tätowieren lassen. Und ich bin sicher, daß Anna noch alle Zähne hat. Sie redet nämlich sehr oft über ihre Zähne. Daher weiß ich das. Sie hat große Schwierigkeiten damit, klagt oft über Schmerzen, wenn sie was Kaltes ißt. Oder was Warmes.«
Die Worte sprudelten wie ein Wasserfall, und ich konnte fast spüren, wie ihre Erleichterung durch die Leitung strömte.
»Aber Schwester, es ist möglich –«
»Nein, ich kenne meine Nichte. Sie hat noch alle Zähne. Sie ist zwar nicht glücklich mit ihnen, aber sie hat sie noch.« Wieder das nervöse Auflachen. »Und keine Tätowierungen, dem Herrn sei Dank.«
»Ich bin froh, das zu hören. Diese junge Frau ist wahrscheinlich nicht Anna, aber vielleicht wäre es das beste, wenn die Polizei die zahnärztlichen Unterlagen Ihrer Nichte bekommt, nur um sicherzugehen.«
»Ich bin mir sicher.«
»Ja. Aber vielleicht will auch Detective Claudel sicher sein. Schaden kann es nicht.«
»Vermutlich. Und ich bete für die Familie dieses armen Mädchens.«
Sie gab mir den Namen von Annas Zahnarzt, und ich rief Claudel wieder an.
»Sie ist sicher, daß Anna keine Tätowierung hat.«
»Hallo, Tante«, äffte er. »Weißt du was? Ich habe mir letzte Woche den Hintern tätowieren lassen.«
»Akzeptiert. Ist nicht sehr wahrscheinlich.«
Er
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