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Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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umschichtete, stellte ich mir das weitläufige graue Steingebäude an der Ecke Avenue des Pins und Rue St. Urbain vor. Das Hôtel Dieu war noch immer als Krankenhaus in Betrieb. Ich war schon oft daran vorbeigefahren.
    Ich kehrte zum Buch zurück. Zwar knurrte mir der Magen, aber ich wollte mit dem Essen auf Harry warten.
    Die Ärzte im Montreal General dachten, ihre Kollegen im Hotel Dieu hätten die Pocken den Gesundheitsbehörden gemeldet. Die im Hotel Dieu dachten das Gegenteil. Niemand meldete es den Behörden, und niemand informierte das Personal der beiden Krankenhäuser. Am Ende der Epidemie waren über dreitausend Menschen tot, die meisten davon Kinder.
    Ich schloß das Buch. Meine Augen brannten und meine Schläfen pochten. Wo war Harry?
    Ich ging in die Küche, holte die Lachssteaks aus dem Kühlschrank und wusch sie. Während ich die Dillsauce zubereitete, versuchte ich, mir mein Viertel vor einem Jahrhundert vorzustellen. Wie reagierte man in dieser Zeit auf Pocken? Zu welchen Hausmitteln griff man? Über zwei Drittel der Toten waren Kinder gewesen. Wie war es, wenn man die Kinder der Nachbarn sterben sah? Wie kam man mit der Hilflosigkeit zurecht, wenn man ein zum Sterben verurteiltes Kind zu pflegen hatte?
    Ich bürstete zwei große Kartoffeln und legte sie in den Ofen, wusch dann Salat, Tomaten und Gurke. Von Harry immer noch keine Spur.
    Obwohl meine Lektüre mich eine Weile Mathias und Malachy und Carole Comptois vergessen ließ, war ich noch immer angespannt, und der Kopf tat mir weh. Ich ließ mir ein heißes Bad einlaufen und schüttete Aromasalze aus dem Meer hinzu. Schließlich legte ich eine Leonard-Cohen-CD auf und stieg in die Wanne.
    Der Fall Élisabeth Nicolet war nur eine willkommene Ablenkung von meinen jüngsten Mordfällen. Bisher war dieser Ausflug in die Geschichte faszinierend gewesen, aber ich hatte nicht erfahren, was ich wissen wollte. Dank der umfangreichen Informationen, die Schwester Julienne mir schon vor der Exhumierung zugeschickt hatte, war ich bereits vertraut mit Élisabeths Arbeit während der Epidemie.
    Élisabeth hatte jahrelang wie eine Einsiedlerin gelebt, doch als die Epidemie außer Kontrolle geriet, wurde sie zu einer Vorkämpferin moderner medizinischer Methoden. Sie schrieb Briefe an die Gesundheitsbehörde der Provinz, an den Gesundheitsausschuß des Stadtrats und an Honoré Beaugrand, den Bürgermeister von Montreal, in denen sie eine Verbesserung der hygienischen Verhältnisse forderte. Gleichzeitig bombardierte sie die englischen und französischen Zeitungen mit Leserbriefen, in denen sie die Wiedereröffnung des städtischen Pockenspitals forderte und für eine allgemeine Schutzimpfung eintrat.
    Sie schrieb an ihren Bischof, wies ihn darauf hin, daß das Fieber sich vor allem dort ausbreitete, wo viele Menschen zusammenkamen, und bat ihn, vorübergehend die Kirchen zu schließen. Bischof Fabre weigerte sich mit der Begründung, daß eine Schließung der Kirchen eine Verhöhnung Gottes wäre. Im Gegenteil, er drängte seine Gemeinde sogar zum Kirchgang und redete den Gläubigen ein, gemeinsame Gebete seien wirkungsvoller als das Beten im stillen Kämmerlein.
    Schön gedacht, Bischof. Deshalb starben die französischen Katholiken und die englischen Protestanten nicht. Die Heiden ließen sich impfen und blieben zu Hause.
    Ich ließ heißes Wasser zulaufen und stellte mir vor, wie frustriert Élisabeth gewesen sein mußte und wieviel Takt ich an ihrer Stelle aufgebracht hätte.
    Okay. Nun wußte ich also über ihre Arbeit Bescheid, und auch über ihren Tod gab es genügend Informationen, denn in dieser Hinsicht hatten sich die Nonnen besonders gern verbreitet. Über Élisabeths Krankheit und das anschließende Begräbnis hatte ich Unmengen gelesen.
    Aber ich mußte etwas über ihre Geburt in Erfahrung bringen.
    Ich griff zur Seife.
    Diese Tagebücher mußte ich lesen, daran ging kein Weg vorbei.
    Ich seifte mir die Schultern ein.
    Aber ich hatte die Fotokopien, das konnte also warten, bis ich in Charlotte war.
    Ich wusch mir die Füße.
    Zeitungen. Das war Jeannottes Vorschlag gewesen. Ja. Die Zeit, die mir am Montag noch blieb, würde ich nutzen, um alte Zeitungen durchzusehen. Ich mußte sowieso zur McGill, um die Kladden zurückzugeben.
    Ich sank wieder ins heiße Wasser und dachte an meine Schwester. Arme Harry. Ich hatte sie gestern ziemlich links liegengelassen. Ich war müde gewesen, aber war das der einzige Grund? Hatte es mit Ryan zu tun? Harry hatte

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