Knochenbruch
nicht … Und ich kann mir nicht vorstellen, daß Enzo Rivera darüber sehr erfreut sein würde.«
Er sah mich so wütend an, wie sein trauriger Zustand es zuließ.
»Haben Sie verstanden?« fragte ich.
»Ja.« Er schloß die Augen und stöhnte. Mit verwerflicher Zufriedenheit überließ ich ihn sich selbst.
»Was haben Sie zu Carlo gesagt?« wollte Alessandro wissen, als ich ihn die Einfahrt hinunterkutschierte.
»Ich habe ihm geraten, den Tag im Bett zu verbringen.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Jedenfalls etwas in der Art.«
Argwöhnisch betrachtete er den Anflug eines Lächelns, das zu unterdrücken ich mir nicht die Mühe machte. Dann wandte er den Blick ab und starrte ungehalten durch die Windschutzscheibe.
Nach zehn schweigsamen Meilen sagte ich: »Ich habe einen Brief an Ihren Vater geschrieben. Ich möchte, daß Sie ihn hinschicken.«
»Was für einen Brief?«
Ich zog einen Umschlag aus meiner Innentasche und gab ihn Alessandro.
»Ich will ihn lesen«, bemerkte er aggressiv.
»Nur zu. Er ist nicht zugeklebt. Ich dachte, die Mühe könnte ich Ihnen sparen.«
Er kniff die Lippen zusammen und zog den Brief heraus.
Er las:
Enzo Rivera, folgende Punkte zu Ihrer Kenntnisnahme.
1. Solange Alessandro auf Rowley Lodge bleibt und zu bleiben wünscht, darf der Stall nicht zerstört werden.
Jede Form der Zerstörung oder der versuchten Zerstörung des Stalls wird zur Folge haben, daß der Jockey Club augenblicklich von allen Ereignissen der Vergangenheit in Kenntnis gesetzt wird, mit dem Ergebnis, daß man Alessandro lebenslänglich für alle Rennen überall auf der Welt sperren würde.
2. Tommy Hoylake.
Sollte Tommy Hoylake oder irgendeinem anderen Jockey des Stalls irgend etwas zustoßen, gleichgültig was, wird Anzeige erstattet werden, und Alessandro wird keine Rennen mehr reiten.
3. Moonrock, Indigo und Buckram.
Sollten irgendwelche weiteren Versuche unternommen werden, eines der Pferde auf Rowley Lodge zu verletzen oder zu töten, wird Anzeige erstattet werden, und Alessandro wird keine Rennen mehr reiten.
4. Die Anzeige, mit der Sie zu rechnen hätten, besteht zur Zeit aus einem vollen Bericht über alle zur Sache gehörigen Ereignisse, zusammen mit (a) den beiden Modellpferden und ihren handgeschriebenen Etiketten; (b) dem Ergebnis der Analyse einer Blutprobe von Indigo, durchgeführt vom Forschungslabor für Pferdemedizin, das den Nachweis des Vorhandenseins des Narkosemittels Promazin erbringt; (c) Röntgenbildern der Fraktur von Indigos linkem Vorderbein; (d) einer Gummimaske von Carlo; (e) einer Subkutanspritze, die noch Spuren des Narkotikums enthält, und (f) einem Knüppel, der genauso wie die Spritze Carlos Fingerabdrücke trägt. Diese Gegenstände sind bei einem Rechtsanwalt hinterlegt, der Anweisung für ihre Benutzung im Fall meines Todes hat. Vergessen Sie nicht, daß die Anklage gegen Sie und Ihren Sohn nicht vor einem Gericht bewiesen werden muß, sondern nur dem Jockey Club einleuchten muß. Der ist es, der die Jockeylizenzen entzieht.
Wenn Rowley Lodge kein weiterer Schaden – auch nicht versuchsweise – zugefügt wird, erkläre ich mich meinerseits einverstanden, Alessandro jede vernünftige Möglichkeit zu geben, ein tüchtiger und erfolgreicher Jockey zu werden.
Er las den Brief zweimal. Dann faltete er ihn langsam zusammen und schob ihn zurück in den Umschlag.
»Das wird ihm nicht gefallen«, sagte er. »Er läßt sich von niemandem drohen.«
»Dann hätte er nicht versuchen sollen, mir zu drohen«, sagte ich milde.
»Er dachte, es würde sich um Ihren Vater handeln … Und alte Leute sind leichter einzuschüchtern, sagt mein Vater.«
Ich wandte meinen Blick zwei Sekunden lang von der Straße ab, um ihn anzusehen. Seine letzte Feststellung hatte ihn genauso wenig irritiert wie vor einiger Zeit die Bemerkung, daß sein Vater mich töten würde. Einschüchterungsversuche und Mord waren der Hintergrund seiner Kindheit gewesen, und er schien sie immer noch für normal zu halten.
»Haben Sie wirklich all diese Dinge?« fragte er. »Das Ergebnis der Blutprobe … Und die Spritze?«
»Ja, die habe ich.«
»Aber Carlo trägt immer Handschuhe …« Er hielt inne.
»Er war unvorsichtig«, sagte ich.
Er grübelte darüber nach. »Wenn mein Vater Carlo dazu bringt, noch weiteren Pferden ein Bein zu brechen, werden Sie mich dann wirklich sperren lassen?«
»Und ob.«
»Aber danach hätten Sie keine Möglichkeit mehr, ihn davon abzuhalten, aus Rache die
Weitere Kostenlose Bücher