Knochenbruch
Ställe zu zerstören.«
»Würde er das wirklich tun?« fragte ich. »Würde er sich noch die Mühe machen?«
Alessandro schenkte mir ein mitleidiges, überlegenes Lächeln. »Mein Vater würde sich sogar rächen, wenn jemand das Cremetörtchen essen würde, das er wollte.«
»Sie finden Racheakte also in Ordnung?« sagte ich.
»Natürlich.«
»Das würde Ihnen Ihre Lizenz aber nicht zurückbringen«, stellte ich fest, »und außerdem bezweifle ich, daß er es wirklich tun könnte, denn dann gäbe es nichts mehr, was gegen Polizeischutz und lautestmögliche Medienresonanz spräche.«
Er ließ sich nicht beirren. »Sie würden auf Nummer Sicher gehen, wenn Sie zuließen, daß ich Pease Pudding und Archangel reite.«
»Es ist undenkbar, daß Sie diese Pferde ohne jede Erfahrung reiten. Mit ein wenig Vernunft hätten Sie das von Anfang an gewußt.«
Der hochmütige Blick meldete sich zurück, war aber verwässert gegenüber dem ersten Mal, als ich ihn gesehen hatte.
»Also«, fuhr ich fort, »obwohl es immer ein Risiko bedeutet, sich einer Erpressung zu widersetzen, ist es in einigen Fällen das einzige, was einem übrigbleibt. Und in einer solchen Lage geht es lediglich darum, Möglichkeiten zum Widerstand zu finden, die einen nicht mit leeren Händen ins Leichenschauhaus bringen.«
Es entstand eine neuerliche lange Pause, während wir Grantham und Newark umfuhren. Es hatte angefangen zu regnen. Ich stellte die Scheibenwischer ein, und die Gummiflächen klickten wie Metronome über das Glas.
»Mir kommt es so vor«, sagte Alessandro düster, »als trügen Sie und mein Vater eine Art Machtkampf aus, mit mir als Bauern dazwischen, den Sie beide herumschubsen.«
Ich lächelte, überrascht sowohl von seinem Scharfsinn wie auch von der Tatsache, daß er diesen Gedanken laut aussprach.
»Das stimmt«, pflichtete ich ihm bei, »so ist es von Anfang an gewesen.«
»Mir gefällt das nicht.«
»Sie sind selbst schuld dran. Und wenn Sie den Gedanken, Jockey werden zu wollen, aufgeben, wird alles aufhören.«
»Aber ich will Jockey werden«, sagte er, als sei es mit diesem Wunsch getan. Und was seinen vernarrten Vater betraf, war es das auch. Der Wunsch war Ursprung und Ziel.
Zehn nasse Meilen später sagte er: »Sie haben am Anfang versucht, mich loszuwerden.«
»Stimmt.«
»Wollen Sie immer noch, daß ich gehe?«
»Würden Sie’s tun?« Ich klang hoffnungsvoll.
»Nein«, sagte er.
Ich verzog den Mund.
»Nein«, wiederholte er, »denn Sie beide, Sie und mein Vater, haben es mir unmöglich gemacht, zu irgendeinem anderen Stall zu gehen und noch mal von vorne anzufangen.«
Eine neuerliche lange Pause. »Und überhaupt«, sagte er. »Ich will überhaupt nicht zu irgendeinem anderen Stall. Ich will auf Rowley Lodge bleiben.«
»Und Champion-Jockey werden?« murmelte ich.
»Ich habe nur zu Margaret gesagt …«, begann er heftig und fügte dann einige Dinge zusammen. »Sie hat Ihnen erzählt, daß ich mich nach Buckram erkundigt habe«, sagte er verbittert. »Und deshalb haben Sie auch Carlo erwischt.«
Um Margaret Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sagte ich: »Sie hätte mir nichts davon erzählt, wenn ich sie nicht direkt gefragt hätte, was Sie wollten.«
»Sie vertrauen mir nicht«, beklagte er sich.
»Nun, nein«, erwiderte ich ironisch. »Ich wäre auch ein Narr, wenn ich es täte.«
Der Regen klatschte noch heftiger gegen die Windschutzscheibe. Wir blieben vor einer roten Ampel in Bawtry stehen und warteten, während ein Schülerlotse eine halbe Schule vor uns über die Straße trieb.
»Diese Bemerkung in Ihrem Brief, daß Sie mir helfen wollen, ein guter Jockey zu werden … Meinen Sie das ernst?«
»Ja, das tue ich«, sagte ich. »Sie reiten zu Hause sehr gut. Besser, als ich erwartet hätte, um ehrlich zu sein.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt …«, begann er und hob die Adlernase.
»Daß Sie brillant sind«, beendete ich seinen Satz nickend. »Das haben Sie tatsächlich gesagt.«
»Lachen Sie mich nicht aus.« Der stets einsatzbereite Zorn wallte auf.
»Alles, was Sie tun müssen, ist ein paar Rennen gewinnen, den Kopf behalten, einen Sinn für Tempo und Taktik zeigen und aufhören, sich auf Ihren Vater zu verlassen.«
Er war unversöhnlich. »Es ist nur natürlich, daß man sich auf seinen Vater verläßt«, sagte er steif.
»Ich bin meinem davongelaufen, als ich sechzehn war.«
Er drehte sich um. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich sehen, daß er sowohl überrascht wie auch
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