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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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machte wohl gerade sein ältester Sohn? Winterberg ging in den Flur. Die Schuhe von Niklas standen nicht an ihrem Platz, er war also immer noch auf dieser Französischkurs-Party. Außerdem hätte er es gehört, wenn der Junge nach Hause gekommen wäre, das Schlafzimmer lag schließlich direkt neben der großen Diele.
    Ob sie auf dieser Party auch solche Videos anschauten? Vielleicht heimlich auf der Toilette oder in irgendeinem Auto. An wenigstens zwei Schulen im Stadtgebiet gab es Jungs, die Gewaltvideos tauschten, dachte Winterberg. Manuels Vater wusste es von der Realschule, und dank Manuel waren er und seine Kollegen auf zwei Jugendliche am Gymnasium gestoßen. Aber das war sicher nur die berühmte Spitze des Eisberges: Bayram und Bosch waren nur blöd genug gewesen, sich von einem Schulkameraden erwischen zu lassen. René hatte sich geschickter angestellt; er hatte sich heimlich einen Laptop zugelegt und seinen Eltern nichts davon erzählt, was er in seiner Freizeit trieb. Und die Staudts hatten sich nie um den Jungen gekümmert und nichts hinterfragt.
    Wie viel Versteckspiel konnte eine Familie ertragen, bis ihr Zusammenhalt aus den Fugen geriet – oder bis jemand versuchte auszubrechen?
    Er seufzte und nahm noch einen Schluck Wein. Verzweifelt bemühte er sich, die erneut auflebenden Sorgen um die eigene Familie beiseitezuschieben. Bei ihnen war doch alles in Ordnung. Sicher, sie verbrachten nicht mehr so viel Zeit miteinander wie früher, als Niklas und Fabian noch klein waren. Aber die Jungs waren mittlerweile in einem Alter, in dem man eigene Wege ging und den Eltern nicht mehr wie früher alles mitteilte. Die Ehe mit Ute lief ganz gut, wenn man von den gelegentlichen kleineren Auseinandersetzungen einmal absah. Sie waren noch nie so heftig gewesen, dass jemand von ihnen dauerhaft darunter gelitten hätte. Sicher, die große Leidenschaft gab es schon lange nicht mehr, aber sie waren schließlich schon seit achtzehn Jahren verheiratet. Er stutzte kurz. Oder waren es neunzehn? Jedenfalls fast zwanzig.
    Doch schon beim nächsten Schluck Wein kamen wieder Zweifel in ihm auf. Fast hatte er das Gefühl, es bestünde ein Zusammenhang zwischen dem Fall René und seiner Familie. War wirklich alles in Ordnung bei ihnen? Und was war mit Niklas’ Kifferei? War das etwa das Zeichen einer normalen Entwicklung?
    Er gab ein verächtliches Knurren von sich. Mach dir nichts vor, Hannes , schalt er sich. Bei Niklas ging es nicht darum, ob er gelegentlich auf einer Party an einem Joint zog. Die Aufforderung zu diesem Drogentest wurde nicht wahllos an Oberstufenschüler verschickt, sondern gezielt: speziell an die Schüler, die in irgendeiner Weise auffällig waren. So wie Niklas. Und das lag nicht allein an seinem Äußeren; der schwarz gefärbte Irokesenschnitt und das Zungenpiercing waren heute keine spektakulären Normverletzungen mehr. Damit konnte man allenfalls seine Oma schockieren, nicht aber seine aufgeklärten Lehrer.
    Winterberg hob erneut das Glas, doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf. Was, wenn es bei Niklas in Wahrheit gar nicht um Drogen ging, sondern um Gewaltvideos? Wäre das denkbar?
    Er dachte nach. Niklas hatte vehement bestritten, etwas mit Drogen zu tun zu haben. Aber er war nicht so energisch gewesen, als Winterberg ihn auf diese Gewaltvideos angesprochen hatte. Der Junge hatte es abgestritten, weil das ja illegal sei. Und damit war es für ihn, Winterberg, auch schon abgehakt gewesen. Wenn es nicht so ernst wäre, könnte er fast über sich selbst lachen. Da nahm er Zeugen und Verdächtige in die Mangel und drehte ihnen die Worte im Mund herum, um die Wahrheit in einem Kriminalfall herauszufinden: Und zu Hause ließ er sich mit einem einfachen Nein abspeisen.
    Winterberg traf einen Entschluss und stand auf. Falls er heute Abend einen Fehler begehen sollte, würde er ihn wiedergutmachen. Und Niklas würde ihm verzeihen – irgendwann. Da war er sich sicher.
    An der Tür zu Fabians Zimmer hing ein Poster mit einem grünen Wesen, dem drei Stiele mit jeweils einem Auge aus dem Kopf gewachsen waren. Ich sehe mehr als du , schien ihm das seltsame Geschöpf zuzurufen. Winterberg war geneigt, dem Poster zuzunicken. Als wüsste es im Gegensatz zu ihm, was hinter der Zimmertür passierte. Im Moment jedenfalls schlief Fabian; selbst im Flur waren seine leisen Schnarchgeräusche zu hören.
    Die Tür daneben führte in Niklas’ Zimmer. Sie stand einen Spalt

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