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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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seinen Kopf wie ein Helm, der zu eng war. Sie schienen sich auch auf seinen Brustkorb zu legen und erschwerten das Atmen.
    Er riss die Augen auf und drehte den Kopf zur Seite. Die dünne Decke über ihm roch schon längst nicht mehr nach Weichspüler. Alles Heimelige, Hoffnungsvolle war verschwunden. Auch das diffus einfallende Licht aus dem Loch in der Höhlendecke war kaum noch wahrnehmbar. Er wusste nicht, ob er es einfach nicht mehr sehen konnte oder ob die Lichtquelle langsam versiegte.
    So wie sein Lebenswille.
    Es war doch sowieso alles egal. Suchte ihn hier überhaupt jemand? Etwa seine Eltern? Wahrscheinlich lag seine Mutter wieder mit ihrer Migräne im Bett. René lachte innerlich kurz auf. Migräne! Für wie doof hielten die ihn eigentlich? Sie glaubten ernsthaft, dass sie vor ihrem achtzehnjährigen Sohn geheim halten konnten, dass seine Mutter eine Säuferin war. Als ob er nicht selbst schon ab und zu was gesoffen hätte. Aber immer, wenn er einen Kater hatte, reichte es ihm für eine Zeit lang. Ein Kater war ekelhaft. Doch seiner Mutter war das egal – die soff am nächsten Tag einfach weiter.
    Ihre Aufgabe als Mutter hatte sie ohnehin nie richtig ernst genommen, dachte er verächtlich. Alles hatte sein Vater machen müssen: Geld verdienen, den Haushalt organisieren, sich um ihn kümmern ... Und sie hatte immer nur mit glasigem Blick dagesessen und ihnen zugeguckt. Oder sie hatte ihnen Vorwürfe gemacht, wenn der Tag noch jung und sie noch einigermaßen frisch war.
    René drehte sich auf die Seite, als könnte er damit seine Gedanken hinter sich lassen. Er hasste sich, wenn er so dachte. Aber er konnte es nicht abschalten, es entzog sich seiner Kontrolle und drang immer wieder an die Oberfläche. So wie der pochende Schmerz in seiner rechten Hand.
    Immer und immer wieder dachte er an die letzten Stunden, bevor er eingesperrt worden war. Er erinnerte sich an die Wanderung nach Wilnsdorf und daran, wie glücklich er dabei gewesen war. Wie sehr hatte er sich auf sein neues Leben in Freiheit gefreut! Weit weg von zu Hause, von seinen selbstbezogenen Eltern und von den Lehrern, die genauso wenig für ihn übrighatten wie alle anderen auch.
    Und wie immer, wenn seine Gedanken an diesem Punkt angelangt waren, rannen ihm die Tränen aus den Augen. Stets überkam ihn an der gleichen Stelle seines Gedankenkarussells die Erkenntnis, dass ihn hier so schnell niemand finden würde.
    Ob seine Eltern ihn suchten? Hatten sie die Polizei eingeschaltet, oder hofften sie einfach, dass er wieder nach Hause käme? So wie damals, als er bei Onkel Holger gewesen war.
    René schmeckte seine salzigen Tränen und schluchzte leise, obwohl er am liebsten laut geschrien hätte.

Kapitel 45
    »Guten Morgen, Herr Hauptkommissar!«
    Johannes Siebert war groß, hatte eine sportliche, muskulöse Figur und einen festen Händedruck. Er ließ von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen, dass er und sein Sohn eigentlich Wichtigeres zu tun hatten, als Polizisten zu unterrichten, aber natürlich trotzdem ihrer Bürgerpflicht nachkommen würden.
    »Nehmen Sie bitte Platz.« Jetzt, wo er den Vater erlebte, wusste Winterberg auch, warum der Sohn beim letzten Mal so leicht einzuschüchtern war. Die Schüler von Johannes Siebert hatten sicher nicht viel zu lachen.
    »Sie interessieren sich für das Anti-Gewalt-Projekt an unserer Schule? Mein Sohn hat so etwas angedeutet.«
    »Nicht direkt«, antwortete Winterberg. »Es geht uns vielmehr um die Gewalt an Schulen, die solche Projekte erst nötig macht. Zum Beispiel um den Besitz und die Verbreitung gewaltverherrlichender Videos auf den Handys der Schüler.« Er sah Manuel dabei an, der jedoch wie unbeteiligt neben seinem Vater saß. Er unterließ sogar die Zuckungen mit dem Kopf, um seine Frisur in Ordnung zu bringen.
    »Ja, das ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren breiten Raum in den Medien eingenommen hat«, erklärte Siebert. »Zu Recht, wie ich finde. Man kann gar nicht sensibel genug sein, wenn es sich um junge Menschen handelt.«
    »Haben Sie das Projekt an Ihrer Schule initiiert?«
    Sieberts breite Brust schien sich noch weiter zu wölben. »Ja, und ich habe auch die nötigen finanziellen Mittel dafür eingeworben. Das war alles kein Zuckerschlecken, müssen Sie wissen. Die Vergabe von Landesmitteln und das Einwerben von Spendengeldern sind mitunter sehr kompliziert. Auch der Kreis hat unser Projekt unterstützt. Sie haben sicher in der Presse davon gelesen.«
    »Ja.« Winterberg

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