Knochenfinder
aufgerissen.
»Ja?«
Falls es sich bei dem Mann um Jochen Reitmann handelte, so war er unerwartet jung – oder zumindest jünger, als es die Dekoration des Treppenhauses vermuten ließ. Natascha schätzte ihn auf Anfang vierzig, und trotz seines unmodernen schlammfarbenen Trainingsanzugs passte er nicht zu der Altenheimatmosphäre.
»Kriminaloberkommissar Lorenz, meine Kollegin Kommissarin Krüger. Dürfen wir reinkommen?«
Der Mann nickte und hielt ihnen eine Hand hin. Lorenz erwiderte den Händedruck.
»Jochen Reitmann. Kommen Sie doch herein. Ich weiß schon, worum es geht; einer Ihrer Kollegen hat uns Bescheid gesagt.«
Er strahlte eine Unruhe aus, die durch seinen schlaksigen Gang noch verstärkt wurde. Sie folgten ihm durch einen Flur, der schmal und dunkel war. Großformatige Katzenbilder in Pastellfarben hingen an den Wänden und ließen die Diele noch enger wirken.
Reitmann führte sie ins Wohnzimmer. Am Esstisch in der Zimmermitte saß seine Frau über ein riesiges Puzzle gebeugt und betrachtete es konzentriert. Es handelte sich um Edvard Munchs Schrei in fünftausend Teilen, wie der aufrecht stehende Deckel verriet. Sie schaute auf, als die Besucher den Raum betreten hatten.
»Monja, das sind die beiden Kommissare aus Weidenau«, stellte Reitmann sie vor. »Sie sind wegen der Cachegeschichte hier.«
Monja Reitmann stand auf und gab ihnen die Hand. Ihr Händedruck war schlaff – genau wie die Frau selbst. Sie sah ungesund blass aus und hatte einen teigigen Teint mit großen Poren. Das dunkle Haar, das an einigen Stellen ziemlich ausgedünnt wirkte, war ungepflegt, und einzelne Strähnen hingen ihr ins Gesicht.
»Schlimme Sache, das mit den Fingern«, sagte sie. »Besuchen Sie uns, weil wir Zeugen sind, oder sind wir irgendwie verdächtig?« Ihre Stimme war rau, als hätte sie jahrzehntelang geraucht.
»Setzen Sie sich doch«, forderte Reitmann seine Gäste auf und wies auf zwei einfache Holzstühle am Esstisch. Sie sahen aus wie Kneipenstühle, auch der Tisch passte dazu.
Natascha und Lorenz setzten sich, und Reitmann stellte Gläser und eine Wasserflasche neben das Puzzle. Er wollte ihnen etwas von dem Wasser einschenken, aber Natascha lehnte mit einem Seitenblick auf Lorenz dankend ab.
»Sie waren die letzten Finder an dem Cache, bevor der Finger entdeckt worden ist. Wann waren Sie dort?«, fragte Lorenz.
»Am Donnerstag«, antwortete Reitmann. »Wir haben eine große Runde gedreht. Das Wetter war schön, und es gab einige neue Caches, die wir suchen wollten. Wir hatten sicherlich fünfzehn Funde, und dafür sind wir auch eine ziemlich lange Strecke gefahren. Aber uns ist nichts Besonderes aufgefallen. Absolut gar nichts. Alles war völlig normal, so wie immer. Wir haben lange darüber geredet, nicht wahr, Monja?«
Seine Frau nickte und fuhr sich mit der schmalen Hand durch die dünnen Haare. Es half nichts, die Strähnen fielen ihr immer wieder ins Gesicht. Irgendwie wirkte sie krank. Natascha erkannte eine Mischung aus Scham und Trotz im Blick der Frau.
»Wir haben erst durch das Forum erfahren, was in einer der Dosen drin lag«, berichtete Monja Reitmann und hustete kurz. »Nach uns hat den Cache niemand mehr geloggt; es gibt keine Einträge auf den Cacheseiten. Wir haben jedenfalls keinen einzigen Hinweis darauf gefunden, dass noch jemand nach uns da war. Und wir haben wirklich danach gesucht.«
»Wie sieht das mit den anderen Caches aus, die Sie am Donnerstag gesucht haben?«, erkundigte sich Lorenz. »Wurden einige von ihnen anschließend noch von jemandem gefunden, der das vermerkt hat?«
Monja Reitmann blickte Hilfe suchend zu ihrem Mann.
Er füllte zwei Gläser mit Wasser und reichte seiner Frau eines davon. »Na ja, manche wurden am gleichen Tag von jemandem gefunden, andere bisher noch gar nicht. Das ist ganz unterschiedlich.« Er trank einen Schluck. »Meinen Sie etwa, dass da auch noch was drin liegt?«
Er setzte das Glas heftig auf dem Tisch ab, und zwar genau auf ein paar Puzzleteile, sodass es umzukippen drohte. Natascha hielt es rasch fest und stellte es gerade.
Lorenz reagierte betont neutral auf Reitmanns Fragen. »Unsere Kollegen überprüfen das gerade. Gehen Sie öfter wochentags cachen? Arbeiten Sie etwa im Schichtdienst?«
Das Ehepaar tauschte einen Blick aus, dann antwortete Reitmann: »Schichtdienst? Das wäre schön! Ich bin schon seit langer Zeit arbeitslos. Uns hat die Wirtschaftskrise voll erwischt.« Er rieb sich nervös die Hände. »Angefangen hat
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