Knochenfinder
verstümmelte?
»Ich schicke zwei Streifen zu den Verstecken und werde die Kollegen darauf vorbereiten, was sie eventuell dort finden werden«, flüsterte er schließlich ins Telefon. »Kannst du mir sagen, wo die hinmüssen?«
Lorenz gab ihm die Koordinaten durch, und Winterberg notierte sie mit Kugelschreiber auf einem Zettel.
»Okay, Lorenz. Ab jetzt heißt es: beten. Beten, dass die Suche nach den Cacheverstecken ohne Ergebnis bleibt.«
Er unterbrach das Telefonat – jetzt musste er dringend die Streifen zu den Verstecken beordern.
Kurze Zeit später saß er wieder in seinem Wagen. Ein Anfall von Übelkeit hatte ihn kurzzeitig außer Gefecht gesetzt. Kam das von der Hitze oder dem Stress? Winterberg wischte sich mit einem Zipfel seines Hemdes den kalten Schweiß von der Stirn und schloss die Augen. Im Radio sang eine Sängerin mit Piepsstimme über einen Taxifahrer. In manchen Momenten wünschte sich Winterberg, selbst ein Taxifahrer zu sein. Die konnten unliebsame Fahrgäste nach relativ kurzer Zeit absetzen. Er hingegen hatte die undankbare Aufgabe, sich um unliebsame Fälle zu kümmern, bis sie abgeschlossen waren – und das konnte lange dauern. Außerdem würde er als Taxifahrer die Jagd nach dem Fingerschneider bequem im Radio verfolgen können, ohne hinterher für alle möglichen Folgen verantwortlich gemacht zu werden.
Im Hintergrund schrillten die Sirenen zweier Polizeiwagen und verebbten dann im Rauschen des Straßenverkehrs.
Kapitel 26
Nach einer Fahrt über Schleichwege, die dieser Bezeichnung alle Ehre machten, erreichten Natascha und Lorenz den Fischbacherberg. Nachdem sie die Bungalows mit den großzügig angelegten Grundstücken hinter sich gelassen hatten, fuhren sie nun an mehrstöckigen und ineinander verschachtelten Flachdachbauten vorbei: ein sozialer Brennpunkt wie aus dem Lehrbuch für Soziologen. Großformatige, bunt bemalte Schilder wiesen auf pädagogische Einrichtungen für Kinder und Jugendliche hin, und deren Zielgruppe saß gelangweilt daneben auf den Waschbetonkästen für die Mülltonnen und rauchte. Die parkenden Autos wirkten vor dem grauen Beton der Häuser wie aggressive Farbkleckse und enthüllten so das trostlose Dasein derer, die hier leben mussten.
Natascha dachte an einen lange zurückliegenden Wochenendtrip mit Tine nach Berlin. Damals waren sie auf eines der höchsten Häuser in der Trabantenstadt Gropiusstadt gestiegen, um einen weiten Blick auf die Hauptstadt zu werfen. Doch sie waren enttäuscht worden. Berlin hatte von oben ziemlich langweilig ausgesehen. Vom oberen Stockwerk eines der Häuser hier auf dem Fischbacherberg wäre der Ausblick auf jeden Fall atemberaubend. Und aufschlussreich.
Ihr Ziel war jedoch nicht die Anhäufung von Beton auf der Bergkuppe, sondern eine Seitenstraße, die einige Hundert Meter davon entfernt war. Hier gab es drei- und viergeschossige Häuser, die nicht so deprimierend wie die Wohnklötze zuvor wirkten. Lorenz parkte den Jeep auf einem der ausgewiesenen Parkplätze, und dann marschierten sie zu dem Gebäude, in dem die Reitmanns wohnten.
Mit einem Ruck schob Natascha die Eingangstür auf, und kleine Lacksplitter landeten auf einem ihrer Chucks. Sie schüttelte den Fuß, betrat das Treppenhaus und machte sich mit ihrem Kollegen auf den Weg nach oben. Verwundert blickte sie sich um: Die Treppen waren gewischt, vor jeder Tür lag eine Fußmatte, und an den Wänden hingen, je nach Etage, aufgeklebte Puzzles mit Sonnenuntergangsmotiven oder gestickte Blumenbilder in Holzrahmen. Der Altersdurchschnitt in diesem Haus schien deutlich im Rentenalter zu liegen. Die altmodische Heimeligkeit des Treppenhauses, überdeckt vom grellgelb beißenden Geruch nach Desinfektionsmitteln, passte nicht zu Nataschas Vorstellung von Geocachern.
»Wenn die Leute aus diesem Haus etwas im Wald verstecken, sind es entweder alte Armeehelme oder Liebesbriefe von der Front«, witzelte Lorenz. Seine Stimme war leise, als habe die Umgebung sie gedämpft.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aus diesem Haus mit einem satellitengesteuerten Navigationsgerät im Wald herumläuft«, erwiderte Natascha; sie sprach ebenfalls im Flüsterton. »Die sind doch bestimmt schon mit der Fernbedienung für den Fernseher überfordert.«
»Hier ist es«, sagte Lorenz, als sie den dritten Stock erreicht hatten. Er wies auf ein getöpfertes Namensschild, das neben dem Türrahmen oberhalb des Klingelknopfes hing. Kaum hatte er geschellt, wurde die Tür schon
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