Knochenfunde
beugte sich vor und legte seine Stirn neben ihrer Hand auf das Bett, ohne sie jedoch zu berühren. »Mehr kann ich wohl im Moment nicht verlangen. Jetzt bist du am Zug, Eve.« Er stand auf und ging in Richtung Tür. »Wir sehen uns morgen früh. Versuch zu
schlafen.«
Wahrscheinlich würde sie keinen Schlaf finden. Seine Worte waren wie kleine Messer, die sie zerfleischten. Er zerfleischte sie. Sie war so voller Zorn und voller Bitterkeit über seinen Verrat, und dennoch hatte sie den verzweifelten Wunsch verspürt, ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten. Wie konnten solche widersprüchlichen Gefühle gleichzeitig in ihr existieren?
Wie sollte sie das alles aushalten?
Gott, sie wünschte, sie könnte weinen.
Jane klopfte, dann öffnete sie die Tür. »Guten Morgen. Soll ich uns Frühstück machen?« Dann sah sie den Koffer auf dem Bett.
»Oh.«
»Es ist schon nach acht. Du hast den Schulbus verpasst.«
»Joe hat gesagt, ich kann heute zu Hause bleiben. Er meinte, ich soll mich um dich kümmern.« Sie kam ins Schlafzimmer. »Wo fährst du hin?«
»Ich bin froh, dass du zu Hause geblieben bist.« Eve legte eine Bluse und Jeans in den Koffer. »Ich hab mir gedacht, wir könnten für eine oder zwei Wochen zu meiner Mutter fahren. Am besten, du
packst gleich ein paar Sachen zusammen.«
»Kann ich Toby mitnehmen?«
»Klar. Mom ist ja ganz verrückt nach dem kleinen Köter.« Eve
warf ihre Tennisschuhe und ihre Socken in den Koffer. »Wir können eine Menge unternehmen. Vielleicht mal in den Zoo gehen und uns die neuen Pandabären ansehen. Was hältst du davon?«
Das Mädchen leckte sich die Lippen. »Ich weiß, was Joe getan
hat. Ich hab gestern Abend zugehört. Er fühlt sich ganz schrecklich deswegen.«
»Ich weiß.« Eve ging ins Bad, um ihre Zahnbürste und ihr
Waschzeug zu holen. »Ich weiß es, Jane.«
»Wirst du wieder zurückkommen?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht. Im Moment kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Es war…
wirklich schrecklich, was er getan hat.« Sie schloss den Koffer. »Ich weiß, dass du Joe lieb hast, aber ich kann ihn nicht ansehen, ohne daran zu – « Sie schluckte. »Geh doch deine Sachen packen.«
Jane schüttelte langsam den Kopf. »Ich bleibe hier.«
»Was?«
Sie trat auf Eve zu und schlang die Arme um ihren Hals. »Du
hast gesagt, du brauchst Zeit zum Nachdenken. Ich wäre dir nur im Weg. Wenn ich du wäre, würde ich mich unter einer Decke verkriechen, um nichts und niemanden zu sehen.« Sie machte einen Schritt zurück. »Außerdem braucht Joe mich. Er braucht mich sehr.«
»Und du glaubst, ich brauche dich nicht?«
»Jetzt nicht. Später vielleicht.« Jane lächelte. »Das bedeutet nicht, dass ich nicht bei dir sein will oder dass ich dich nicht lieb habe. Das weißt du doch, oder?«
»Ja, das weiß ich.«
»Gut.« Jane wandte sich ab. »Ich mach dir was zum Frühstück.
Speck und Eier?«
»Einverstanden.« Eve schaute Jane nach. Gott, das Mädchen hat-te einen feinen Instinkt. Eve hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie nur noch davonlaufen wollte, weg von Joe und allem, was sie an ihn erinnerte. Sie hatte schließlich Verpflichtungen, und dazu gehörte auch Jane. Aber anscheinend hatte Jane ihre Entscheidung bereits getroffen, und zwar ohne Eve.
Als sie gerade noch ein paar Sachen aus dem Schrank nehmen
wollte, klingelte das Telefon.
»Ms Duncan, entschuldigen Sie, dass ich Sie noch einmal belästige«, sagte Melton, als Eve den Hörer abnahm. »Aber da diese Sache so dringlich ist, wollte ich es noch einmal versuchen. Vielleicht könnten Sie Ihre Entscheidung ja noch einmal überdenken…«
»Dein Entschluss steht also fest?«, fragte Joe. »Es gefällt mir nicht, dass du irgendwohin fährst und ich keine Ahnung habe – « Er unterbrach sich, als er Eves Gesichtsausdruck sah. »Na gut, es geht mich nichts an.« Er runzelte die Stirn. »Doch, verdammt noch mal.
Du gehst mich immer etwas an.«
Eve überging seine Bemerkung. »Pass auf Jane auf. Ich habe ihr versprochen, mich alle drei Tage bei ihr zu melden.« Sie nahm ihren Koffer. »Ich habe meine Mutter angerufen und sie gebeten, sich um Jane zu kümmern, wenn du arbeitest.«
»Du hast ja an alles gedacht.«
»Ich hab’s zumindest versucht.« Ihre Blicke begegneten sich.
»Mir fällt das alles nicht leicht, und mich auf die Arbeit zu konzentrieren, wird mir helfen.«
»Wirst du mich anrufen?«
»Wahrscheinlich nicht. Das würde dem Zweck
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