Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
ist unüberschaubar und verwinkelt, denn andernfalls wäre das Spiel zu schnell vorüber, und anfangs frohlockt der Gefangene. Er ist frei, zu laufen und sich zu verteidigen, und es gibt kein Anzeichen für einen Feind. Doch der Feind ist da, denn die Schlange, in der sich Satan verbirgt, sucht diesen gottlosen Garten regelmäßig auf.
Sobald Beth die englische Übersetzung des geheimen Briefs las, kam es ihr vor, als blicke sie tausend Jahre zurück in die Vergangenheit. Als würde sie einen Blick auf einen Vorgang erhaschen, von dem niemand sonst wusste, dass er stattgefunden hatte. Ein Vorgang, dessen Wahrheitsgehalt sie für unbestreitbar hielt. Anfangs, nachdem sie diesen Brief entdeckt und begonnen hatte, die phantastische Geschichte zu lesen, war ihr natürlich in den Sinn gekommen, dass es ein geschicktes Spiel, eine uralte List sein könnte. Doch es gab keinen vergleichbaren niedergeschriebenen Bericht aus dem 11. Jahrhundert. Schreiben, und noch dazu in solch einem meisterhaften Latein, war eine so seltene Fertigkeit, dass diejenigen, die es beherrschten, es nur äußerst ungern für andere als zweckmäßige und gutbezahlte Tätigkeiten nutzten. Zudem war Pergament teuer und die Arbeit nicht leicht. Allein die körperliche Anstrengung, die Tinten anzumischen, die Häute zu spannen, die Stifte vorzubereiten und jedes einzelne Schriftzeichen fein säuberlich aufzumalen! Der Aufwand war enorm, und die Fertigkeiten eines perfekten Künstlers wurden als eine Art göttliche Gabe angesehen, die zu verschwenden ein Sakrileg wäre. Nein, dieser Brief war echt.
Die Sklavin Salima wohnt mir noch immer bei und liegt weinend auf dem Bett. Beth hatte schon vorher etwas über Salima gelesen. Sie war eine Konkubine, die der Schreiber sich unter den vielen Frauen aus al-Kallis privatem Harem hatte aussuchen dürfen. Weinte sie über die missliche Lage des Schreibers, oder war sie ebenfalls dem Untergang geweiht?
Ihre Aufgabe wird es sein, diesen Brief zu meinem Komplizen zu bringen, der ihn in sein geheimes Grab betten wird. Möge sie verschont werden, um diese Tat vollbringen zu können. Mehr erfuhr Beth nicht, und so konnte sie nur annehmen, dass die Sklavin überlebt hatte, zumindest lange genug, um den Brief zu überbringen.
Plötzlich fing direkt vor ihr jemand an zu reden. »Dieses schattige Plätzchen hier wird durch drei mit verschiedenen Arten der Bougainvillea bedeckte Stahlskulpturen gebildet«, sagte der Reiseleiter, und ein Dutzend Touristen blieben vor der Skulptur stehen, unter der Beth saß. Es war ein heißer, heller Tag, doch hier, im Schatten dieser von Blumen bedeckten Kunstwerke, war es angenehm kühl, und vor allem konnte sie hier ungestört lesen. Hier draußen war die Gefahr gering, dass sie von Mrs Cabot gestört wurde; nur Elvis, ihr Assistent, wusste, wohin sie sich verkrochen hatte.
»Ich mache schon Platz«, sagte Beth, als mehrere Besucher ihre Kameras hoben.
»Nein, nein, bleiben Sie nur«, sagte der Reiseleiter, ein älterer Mann. »Dieser Platz sollte immer so schön aussehen.«
Beth lächelte, stand aber trotzdem auf, ergriff die Seiten in ihrem Schoß und schlenderte zum Rand des Central Garden weiter unten. Die Anlage bestand aus konzentrischen Kreisen. Kiespfade führten an den Rändern entlang und trafen an einem spiegelnden, mit Azaleenreihen verzierten Teich zusammen. Es war, so kam ihr in den Sinn, auch eine Art Irrgarten. Wie seltsam, dass sie den Brief des Schreibers genau an so einem Ort las. Die Pflanzen hier waren nicht so hoch oder dichtgewachsen, dass man nicht mehr wüsste, wo man sich befand oder wie man wieder herausfand, aber die Anlage war ohne Frage einem klassischen Irrgarten nachempfunden.
Ihr fiel ein, dass sie an dieser Stelle auch Mohammed al-Kalli zum ersten Mal begegnet war, als er zur Party anlässlich der feierlichen Eröffnung ihrer Ausstellung der Bilderhandschriften gekommen war. Obwohl sie keine Minute lang an so etwas glaubte, schien es fast, als entwickelten sich die Dinge gemäß einem größeren Plan.
Sie stand oberhalb der runden Gartenanlage, die Sonne brannte heiß auf ihre Schultern, die das Sommerkleid nackt ließ, und widmete sich wieder dem Brief. Es war nicht mehr viel, und die Ungewissheit um das Ende brachte sie fast um.
Noch ehe die nächtlich kühle Wüstenluft sich erhitzt, werde ich zum Irrgarten befohlen werden. Wen wird der Sultan eingeladen haben, Zeuge meines Todes zu werden? Was werden sie essen und trinken, während ich
Weitere Kostenlose Bücher