Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
vorzeitig weiß gewordenem Haar, das er heute vernünftigerweise mit einem Gummiband zusammengebunden hatte. Er lehnte sich zurück und schob die Schutzbrille nach oben.
»Hi, Bones!« Er benutzte den Spitznamen, den man Carter schon vor Jahren verpasst hatte. »Wo hast du gesteckt? Wir sind auf die Hauptader gestoßen!«
Carter musste grinsen. Del und er kannten sich schon lange, seit der Uni. Del war damals bereits Assistenzprofessor gewesen, und er hatte Carter geholfen, ein paar begehrte Forschungsaufträge zu bekommen. Inzwischen war er ordentlicher Professor in der Nähe von Tacoma, doch als er von der Situation hier in L. A. gehört hatte, war er einer der Ersten gewesen, die dem Hilfeaufruf gefolgt waren.
»Zum Teufel«, hatte er bei seiner Ankunft gesagt, »ich mache gerade ohnehin ein Sabbatjahr, und ich habe mein Buch immer noch nicht fertig.« Es war ein Running Gag zwischen ihnen, dass Del schon sein ganzes Leben an einem Buch arbeitete, einer revolutionären Theorie über den Untergang des Perm.
»Ach, tatsächlich? Und, was habt ihr entdeckt?«
»Wir haben einen Sechserpack Tab-Cola – weißt du, wie schwer die heutzutage aufzutreiben sind? – und eine Brotdose von der Kelly Family sichergestellt.«
Carter lachte und sagte: »Vergiss nicht, sie zu katalogisieren.« Er ging in die Hocke und fügte hinzu: »Sieht aus, als würdet ihr Fortschritte machen.« Eine dicke weiße Gipsschicht bedeckte einen Abschnitt von etwa einem Quadratmeter.
»Ja, wir kommen voran. Aber bei dieser Hitze den Gips aufzubringen ist echt eine Scheißarbeit.«
»Schaum wäre noch schlimmer.« Carter hatte sich gegen die modernere Methode entschieden, bei der Polyurethanschaum auf einer Aluminiumummantelung aufgetragen wurde.
»Der Abdruck wäre leichter geworden«, erwiderte Del.
»Aber die Dämpfe hätten uns hier unten alle umgebracht.«
»Auch wahr«, sagt Del. »Aber das wäre vielleicht das kleinere Übel gewesen …«
Carter zog sein Hemd aus und hängte es über eine Sprosse der hinteren Leiter, an der Geronimo heruntergeklettert war. Er lieh sich eine Schutzbrille von einem der Arbeiter, dem zu heiß zum Weiterarbeiten war, nahm sich einen Meißel und begann an einer Stelle direkt neben dem Gips zu arbeiten, wo immer noch das verdeckt war, was möglicherweise ein Schulterblatt war. Kaum hatte er damit angefangen, fühlte er sich besser. Er war wieder er selbst, ein Wissenschaftler bei der Arbeit vor Ort, und kein Bürokrat, der Interviewanfragen auswich. Mit gesenktem Kopf und dem Meißel in der Hand, konnte er den ganzen Rummel ausblenden und sich stattdessen ganz auf das konzentrieren, was er am liebsten tat und am besten konnte.
Während der nächsten Stunde arbeitete Carter einfach vor sich hin, wechselte hin und wieder ein Wort mit einem der anderen Grabenden, nahm regelmäßig einen Schluck aus den Wasserflaschen, die die Runde machten, und schöpfte Teer in die schweren schwarzen Eimer. In stillschweigender Übereinkunft hatten die anderen den begehrten Bereich um den Schädel und Oberkörper des La-Brea-Mannes Carter überlassen, während sie sich an den Extremitäten zu schaffen machten. Im Großen und Ganzen schienen sich die Knochen immer noch an den ursprünglichen Stellen zu befinden, was vor allem in Anbetracht des wilden Blutrauschs bemerkenswert war, den sein Gefangensein im Teer offensichtlich ausgelöst hatte. Bären, Wölfe, Löwen, jedes Raubtier im Umkreis von mehreren Meilen musste seine Schreie gehört oder gesehen haben, wie er wild um sich geschlagen hatte, um sich aus der Falle zu befreien, und angerannt gekommen sein. Normalerweise hätten sie einen Arm oder ein Bein abgerissen und das Fleisch samt Knochen davongezerrt, um es woanders in Ruhe zu verspeisen, doch unter diesen Bedingungen endete es für alle in einer Katastrophe. Der Teer muss zäh und heiß gewesen sein, die Versuchung, der menschlichen Beute zu widerstehen, unmöglich, und der Kampf um ein Stückchen von ihr überaus gewalttätig. Überall in der Grube waren die Hinweise auf einen großen Kampf mehr als offensichtlich.
Warum also, überlegte Carter, lagen die Knochen des Mannes trotzdem nahezu waagerecht? Natürlich war es gut möglich, dass er im Laufe der Jahrtausende im Teer in diese Position geschoben und gezogen worden war, wobei die Knochen zerschrammt und zerstreut, gebrochen und abgerieben wurden, doch irgendetwas kam Carter an der Sache merkwürdig vor. Aus dem Augenwinkel spähte er erneut zu der
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