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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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befestigt die seine sorgfältig über seinem lila Umhang. Das federleichte Bötchen schwankt gefährlich, als die drei Männer einsteigen.
    «Wir müssen uns ausbalancieren», sagt Max. «Cathbad, Sie bleiben auf derselben Seite wie ich.»
    «Heißt das, ich wiege mehr als ihr zwei zusammen?», brummt Nelson, setzt sich dann aber ohne weiteren Protest neben Max auf den Vordersitz. Cathbad nimmt hinter ihnen Platz und fröstelt, weil der Wind dort stärker weht. Vor ihnen ist absolut nichts zu erkennen. Als Max die Scheinwerfer einschaltet, scheint der Nebel ihren Schein einfach zurückzuwerfen, wie kleine Stäubchen aus Licht, die durch die Rauchschwaden tanzen.
    «Das ist doch Wahnsinn», sagt Max, als er den Zündschlüssel dreht.
    «Fahren Sie einfach los», knurrt Nelson.
    Und diesmal wagt Max nicht, ihn zu verbessern.

    Als Ruth wieder zu sich kommt, ist ihr erster Gedanke, dass sie tot sein muss. Sie fühlt sich so träumerisch und unkoordiniert, als würden ihre Gliedmaßen nicht mehr zu ihr gehören, und als sie aus dem Bullauge schaut, sieht sie weder Land noch Meer, nur Grau. Kein Wasser, keinen Baum, keine anderen Boote – nichts. Das muss eines dieser Nahtoderlebnisse sein: der lange Tunnel … wohin mag er führen? Und wo bleibt das helle Licht, wo die verstorbenen Angehörigen, die sie in ihrer Mitte willkommen heißen? Wo ist der Operationstisch, die schmerzhafte Rückkehr ins Leben? Dann geht ihr plötzlich das Wort «Nebel» durch den Sinn, und sie atmet erleichtert auf. Es ist alles gut. Sie ist nicht tot. Es ist nur Flussnebel.
    Gleich darauf wird sie sich auf höchst schmerzhafte Weise wieder ihres Körpers bewusst. Ihr Kopf pocht vor Schmerz, und vom Magen her steigt die vertraute Übelkeit auf. Doch das ist gut, weil es sie an das Baby erinnert. Sie muss überleben, um ihrer Tochter willen. Halt durch, Schätzchen, sagt sie im Geiste zu ihr. Ich werde uns schon hier rausholen.
    Dann sieht sie ihn plötzlich. Den Nagel an der Wand, an dem ein Kalender mit den «Schönsten Ansichten von Norfolk» hängt. Nicht einfach nur eine Heftzwecke, sondern ein echter, ehrlicher, stabiler Nagel. Vorsichtig hebt Ruth die Hände darüber und fängt an, das Seil damit durchzuscheuern. Der Kalender schaukelt wie wild hin und her, doch der Nagel hält. Sekunden später kann sie die Hände wieder bewegen. Rasch löst sie die Fesseln um ihre Knöchel und kämpft dabei eine neue Welle von Übelkeit nieder. Anschließend zieht sie die Küchenschublade auf und greift nach dem Sägemesser. Eine Sekunde lang bleibt sie stehen und wiegt das Messer in der Hand, dann wendet sie sich zur Treppe und drückt gegen die Luke zum Oberdeck. Sie ist verschlossen. Schwer atmend hält Ruth inne. Kann sie die Luke irgendwie aufstoßen, oder gibt es noch einen anderen Weg nach oben?
    Da wird sie urplötzlich nach hinten geschleudert, und das ganze Boot erzittert unter einem scheußlichen Geräusch, als würde der Himmel von der Welt gerissen.

    Nelson, Max und Cathbad hören es ebenfalls. Sie zucken zurück wie vor einem Schlag. Max stellt den Motor ab, Cathbad hält einen Arm schützend vors Gesicht.
    «Was in aller Welt war das?», keucht er.
    «Ein Boot, das versucht, unter der Brücke durchzukommen», antwortet Max grimmig.
    «Die Lady Annabelle ?»
    «Wahrscheinlich. Ich habe keine Lichter gesehen. Wer sonst würde bei diesem Wetter ohne Positionslaternen fahren?»
    «Ist sie auf Grund gelaufen?», fragt Nelson.
    Max lauscht. «Nein. Ich glaube, sie ist durch. Das Geräusch kam wahrscheinlich daher, dass der Schiffsrumpf seitlich an der Brücke entlanggeschrammt ist.»
    «Hat das Boot dabei Schaden genommen?»
    «Bestimmt», sagt Max traurig.
    «Gut», meint Nelson. «Dann haben wir bessere Chancen, sie noch zu erwischen. Schaffen Sie’s, uns unter der Brücke durchzubringen?»
    «Ich werd’s versuchen», antwortet Max.

    Ein paar Sekunden lang ist es stockfinster. Ruth kauert auf dem Boden und fragt sich, was bloß passiert sein kann. Der Lärm hält an; es klingt wie mehrere tausend Fingernägel, die über eine Schiefertafel kratzen. Dann ist es auf einmal vorbei, so plötzlich, wie es begonnen hat, und durch das Bullauge fällt wieder das gewohnte graue Licht herein. Ruth rappelt sich hoch und sieht sich in der Kajüte um. Am anderen Ende steht Max’ ordentlich gemachtes Bett, Elizabeths Hund sitzt immer noch auf dem Kopfkissen. Darüber befindet sich eine Luke, die aussieht, als könnte man sie beiseiteschieben. Ruth

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