Knochenhaus (German Edition)
gewesen sein soll. Cathbad wüsste das auch ohne Google, denkt sie, doch sie hat ja keine Ahnung, wo Cathbad gerade steckt.
«Sie sind ein verworfenes Weib», sagt Roderick im Plauderton und löst das Messer wieder von Ruths Kehle. «Genau wie die irische Hure.»
Ruth schweigt. Wäre sie nicht gefesselt, sie würde ihm in die Eier treten.
«Sie wussten, dass Nelson verheiratet ist, und haben trotzdem bei ihm gelegen. Sie sind eine Hure.»
«Wenn Sie meinen.»
«Nun», sagt Roderick, als hätten sie gerade eine nette Unterhaltung bei ein paar Gurkensandwiches beendet. «Ich gehe jetzt wohl besser zurück ans Steuer.»
Max sitzt unten auf dem Wasser, in einem kleinen Schlauchboot, das er jetzt mit sichtlich geübter Hand am Landesteg vertäut.
«Ich glaube, Roderick Spens hat Ruth entführt», sagt er, nachdem er zu den beiden hinaufgeklettert ist. «Heute früh war ich bei der Ausgrabungsstätte. Ich dachte, sie kommt vielleicht, um sich den Janus-Stein anzusehen, aber es war kein Mensch dort. Eigentlich wollte ich Sie da schon anrufen, aber dann bekam ich selbst einen Anruf von der Werft, dass jemand mit der Lady Annabelle weggefahren sei. Ein älterer Herr. Er hatte einen schweren Teppich an Bord gebracht. Sie fanden das irgendwie verdächtig.»
«Wussten sie auch, wo er hinwill?», fragt Cathbad. Sein lila Umhang ist feucht und dreckig von dem Weg am Flussufer entlang, und Max mustert ihn skeptisch.
«Cathbad hilft mir bei den Ermittlungen», erklärt Nelson knapp. «Wir müssen unbedingt wissen, wo Ruth ist. Sie ist wahrscheinlich in großer Gefahr.»
Max’ Miene bleibt skeptisch, doch er antwortet durchaus bereitwillig. «Sie sagten, er hätte sich nach der Durchfahrtshöhe der Potter-Heigham-Brücke erkundigt.»
Nelson und Cathbad sehen ihn verständnislos an.
«Das ist eine Brücke über den Thurne», sagt Max. «Sie ist ausgesprochen niedrig. Viele Boote bleiben dort hängen. Wenn sie tatsächlich dorthin unterwegs sind, würde ich vermuten, dass sie zum Horsey Mere wollen. Dort hat die Familie Spens ein Ferienhaus.»
Er erntet nur weitere verständnislose Blicke.
«Das ist ein wenig bekanntes Binnengewässer», erläutert er, «bei den North Rivers.»
«Und in welche Richtung fährt er da?», fragt Nelson.
Max deutet zu der Stelle, an der sich der Fluss gabelt. «Wenn er zu den North Rivers will, muss er da entlang, über den Yare nach Yarmouth.»
«Können wir ihn noch in Yarmouth abfangen?»
Max schaut auf die Uhr. «Die Werftarbeiter meinten, er wäre um vier Uhr hier angekommen. Dann ist er jetzt schon durch Yarmouth durch.»
Nelson schaut ebenfalls auf die Uhr. Es ist halb acht.
«Vielleicht können wir ihn auf dem Landweg einholen», sagt er. «Ich fahre ziemlich schnell.»
Max schüttelt den Kopf. «Unsere einzige Möglichkeit ist, vor ihm an der Brücke zu sein. Um da durchzukommen, muss er das Sonnensegel abmontieren. Das dürfte ihn einige Zeit kosten.»
«Na, dann mal los», sagt Nelson.
Das Boot bewegt sich. Es schaukelt immer heftiger, und Ruth hat Angst, dass ihr übel werden wird. Das darf auf keinen Fall passieren. Sie muss diesem Wahnsinnigen mit seiner beängstigend viktorianischen Ausdrucksweise und seinem modernen, aber nicht weniger beängstigenden Messer entkommen. Er hat sein eigenes Kind getötet, und jetzt will er auch ihres umbringen. Doch das wird Ruth auf keinen Fall zulassen.
Wenn sie nur irgendwie auf die andere Seite käme, dann könnte sie vielleicht den Küchenschrank erreichen, wo es Messer und andere scharfe Gerätschaften gibt. Er ist so nah, kaum eine Armeslänge entfernt. Wenn sie sich nur befreien kann, wird sie es schon irgendwie mit Roderick Spens aufnehmen, samt seinem Messer.
Vorsichtig rollt sie sich zur Seite, bis sie die fest zusammengebundenen Beine auf den Boden stellen kann. Dann wird sie plötzlich ohne Vorwarnung von einer Welle der Übelkeit erfasst, so heftig, dass sie weiß, sie wird sich übergeben müssen. Es ist furchtbar, die Hände auf dem Rücken gefesselt zu haben, weil sie sich nicht einmal die Haare aus dem Gesicht halten kann. Sie kann nichts weiter tun, als sich so weit zur Seite zu beugen, dass sie sich nicht auf die eigenen Füße erbricht. Jämmerlich würgt sie so lange, bis ihr Magen sich ganz entleert hat, dann fällt sie erschöpft auf die Bank zurück und schließt die Augen. Sie kann nur hoffen, dass Roderick sie nicht gehört hat, doch der Motor ist erstaunlich laut. Anscheinend sind sie recht schnell
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