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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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in einem mutmaßlichen Mordfall», erwidert Nelson und stemmt sich aus dem Graben heraus. Andrews murmelt etwas Unverständliches vor sich hin.
    Ruth geht hinter Nelson über den improvisierten Laufsteg. Ihr ist immer noch schlecht und ein wenig schwindelig. Die schwarz-weißen Fliesen verschwimmen ihr unangenehm vor den Augen. Sie bleibt kurz stehen, atmet tief durch. Nelson misst sie mit einem raschen, prüfenden Blick. «Alles in Ordnung mit dir?»
    «Ja», sagt sie leichthin und zwingt sich zu einer aufrechten Haltung. «Was sollte denn nicht in Ordnung sein?»
    «Das frage ich dich.»
    Das unbehagliche Schweigen hält kurz an, und Ruth bemerkt, wie Clough sie neugierig mustert.
    «Mir geht’s gut, Nelson», sagt sie. «Du weißt doch, das ist meine Arbeit.»
    Einen endlosen Augenblick lang mustert Nelson sie stirnrunzelnd. Dann brummt er: «Ich möchte auch gar nicht tauschen», und geht grußlos zu seinem Wagen zurück.

[zur Inhaltsübersicht]
    5
    Ruth fährt langsam über die Umgehungsstraße von Norwich nach Hause. Die Übelkeit hat sich gelegt, und jetzt ist sie wahnsinnig hungrig – ein Muster, das ihr in den letzten paar Wochen schon vertraut geworden ist. Sie hält an einer Tankstelle und kauft ein Baguette und eine Flasche Mineralwasser. Kohlenhydrate ohne viel Schnickschnack, genau das braucht sie jetzt. Und Wasser natürlich. Beim Fahren bricht sie große Stücke von dem Brot ab und stopft sie sich in den Mund. Das Baby wird ihr einige zusätzliche Pfunde einbringen, das zeichnet sich jetzt schon ab. Aber mit das Tollste am Schwangersein ist ja, dass sie sich keine Gedanken mehr um ihr Gewicht zu machen braucht. Ruth hat seit der Schulzeit Übergewicht. Sie kann kaum noch sagen, wie viele Jahre ihres Lebens sie damit zugebracht hat, Diät zu machen, sich um ihren Body-Mass-Index zu sorgen und irgendwie so auf der Waage zu balancieren, dass sie zwei Kilo weniger anzeigt. Sie war bei den WeightWatchers und bei Slimming World und hat sich einige blähungsreiche Wochen lang nur von Kohlsuppe ernährt. Seit ein paar Jahren macht sie keine Diäten mehr, was keine weiteren Auswirkungen auf ihr Gewicht gehabt und sie auch nicht direkt glücklicher gemacht, aber immerhin mit ihrem Schicksal versöhnt hat. Sie wird eben nie zu den Frauen gehören, die aller Welt erzählen, dass sie essen können, was sie wollen, und dabei kein Gramm zunehmen («Das liegt einfach an meinem Stoffwechsel – ich würde sonst was darum geben, ein paar Kurven zu haben!»). Sie wird niemals eine gute Figur im Bikini oder im Trägertop machen, aber im Großen und Ganzen stört sie das nicht weiter. Sie trägt unauffällige, weite Kleidung und schaut nur in den Spiegel, um sicher zu gehen, dass sie keine Spinatreste zwischen den Zähnen hat. Aber jetzt – Halleluja! – hat sie endlich eine Entschuldigung fürs Dicksein. Sie kann eine normale Cola trinken, ohne dass der Chor unsichtbarer Stimmen in ihrem Hinterkopf auf sie einschimpft: «Habt ihr gesehen, wie dick die ist? Da sollte sie aber lieber eine Cola Light trinken.»
    Ob Nelson etwas gemerkt hat? Wahrscheinlich nicht. Er war ziemlich kurz angebunden, aber so ist er immer, wenn er in einer Ermittlung steckt. Und immerhin hat er sich an sie gewandt und sie gefragt, wie lange die Ausgrabungen noch dauern werden, was Trace und den Polier sichtlich verärgert hat. Wenn ihr bloß nicht schlecht geworden wäre! Ted der Ire hat sich ja nett verhalten, aber sie will die Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass Trace nicht gleich all ihren Feldarchäologen-Freunden davon erzählt. Ob es an der langen Autofahrt gelegen hat oder am anstrengenden Herumklettern auf der Baustelle? Vielleicht war es aber auch das Skelett, die Embryohaltung, die Vorstellung des vom Körper getrennten Schädels. Ruth erinnert sich daran, was Max über den Kopfkult in der keltischen Mythologie gesagt hat. Die Kelten waren Kopfjäger. Ihre Krieger schlugen den Gegnern im Kampf den Kopf ab und hängten ihn ihren Streitrössern um den Hals. Und nach dem Kampf wurden die erbeuteten Köpfe am Eingang des Tempels präsentiert. Der abgetrennte Kopf ist ein häufiges Element in der keltischen Kunst.
    Ob die Leiche auf dem Baugrundstück wohl keltisch oder römisch ist? Vielleicht stammt sie ja auch aus dem Mittelalter, ist ein Überbleibsel des längst verschwundenen Friedhofs? Möglich wäre es, doch Ruth ist immer noch überzeugt, dass es sich um eine jüngere Bestattung handeln muss, die innerhalb der letzten

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