Knochenhaus (German Edition)
auch kein Recht, da herumzuspekulieren.»
«Ach, kommen Sie, Boss, Sie wissen doch selbst, wie Nonnen und Priester sind. Ich habe mal ein Buch gelesen, das in Irland spielt. Sie machen sich keine Vorstellung, was die mit den armen Kindern da angestellt haben.»
Nelson schweigt und denkt an seine eigene Schulzeit auf der Klosterschule zurück. Er weiß noch, dass die Mönche sehr streng waren, streng, aber gerecht. Er selbst war als Schüler wahrlich kein Engel – wahrscheinlich hatte er sämtliche Strafen redlich verdient. Auch an den Gemeindepfarrer erinnert er sich noch: Pater Damian, ein zierlicher, unauffälliger Mann. Nelsons Mutter war ihm treu ergeben und legte ihm ständig alle möglichen dogmatischen Ansichten in den Mund: «Pater Damian findet … Pater Damian meint …» Soweit Nelson sich erinnert, äußerte Pater Damian selbst nie zu irgendetwas eine Meinung, außer wenn es um Rennpferde ging. Er war ein passionierter Wetter.
«Die meisten dieser Bücher sind doch Käse», sagt er, während er viel zu schnell um die Kurve biegt. «Schriftsteller denken sich alles Mögliche aus, um damit Kohle zu machen.»
«Aber Nonnen sind mir echt unheimlich». Clough lässt sich nicht beirren. «Diese schwarzen Gewänder und dann noch diese Schleier. Gruselig.»
«Meine Tante ist Nonne», sagt Nelson, damit Clough endlich die Klappe hält. Eigentlich ist Schwester Margaret Mary vom Kostbaren Blut nur seine Großtante, die Schwester seiner Großmutter. Er hat sie seit Jahren nicht mehr gesehen.
«Im Ernst? Dann sind Sie also katholisch?»
«Ja», antwortet Nelson, obwohl er seit Rebeccas Erstkommunion vor acht Jahren keine Kirche mehr betreten hat.
«Heiliger Bimbam, Boss. Ich hätte ja nie gedacht, dass Sie religiös sind.»
«Bin ich auch nicht», sagt Nelson. «Man muss ja nicht gleich religiös sein, nur weil man katholisch ist.»
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6
Ruth und Max sitzen an der Theke des Phoenix. Ruth hat schon wieder einen Bärenhunger. Sie hat eine Tüte Chips (ohne alles) aufgerissen und muss sich sehr überwinden, Max wenigstens zum Schein ein paar davon anzubieten.
«Nein danke.» Max winkt ab und nimmt einen großen Schluck aus seinem Bierglas, und Ruth schiebt sich triumphierend vier Chips auf einmal in den Mund.
«Ich würde mich freuen, wenn du dir die Knochen noch einmal anschauen könntest, sobald wir sie ausgegraben haben», sagt Max. Sie haben sich inzwischen aufs Du geeinigt. «Geht das?»
«Sicher», bringt Ruth mit vollem Mund heraus und wird ein bisschen rot.
«Schließlich ist das ja dein Fachgebiet, nicht?»
Ruth pflichtet ihm lebhaft bei und versucht, dabei tatsächlich wie eine Fachfrau zu klingen und nicht wie die Titelanwärterin einer Meisterschaft im Chips-Futtern.
«Ich wüsste wirklich gern, wie und weshalb diese Leiche enthauptet wurde», fährt Max fort. «Und ob es vor oder nach Eintritt des Todes passiert ist.»
«Glaubst du, das ist ein weiterer Hinweis auf einen Kopfkult?», fragt Ruth.
«Das kann gut sein. Kopfkulte waren zwar eher bei den Kelten als bei den Römern üblich, aber es gibt auch Beispiele aus römischer Zeit. Und auch im Mittelalter wurden Köpfe häufig als Reliquien aufbewahrt. Denk nur an den heiligen Hugo von Lincoln. Dem hat man den Kopf abgetrennt, damit er seine Wunder allein vollbringen kann. Oder der heilige Fremund. Der Legende nach wurde er dabei beobachtet, wie er seinen abgetrennten Kopf in einer Quelle wusch. Die Quelle besaß anschließend natürlich auch Wunderkräfte.»
Max klingt animiert, belustigt sogar, doch Ruth hat nicht allzu viel für Wunder übrig. Ihre Eltern lehnen alles rigoros ab, was mit Wundern und Reliquien zusammenhängt; für sie sind das gefährliche papistische Praktiken. Ruth muss wieder an das Kinderheim denken und daran, wie Nelson die Nonnen verteidigt hat. Sie weiß, dass er katholisch aufgewachsen ist. Dann fällt ihr Cathbad ein, ihr guter Freund und Freizeit-Druide. Er wäre bestimmt ganz begeistert von dieser Sache.
«Auf meinem Grundstück in Norwich soll mal eine mittelalterliche Kirche gestanden haben», erzählt sie. «Deshalb wurden die Feldarchäologen auch mit den Grabungen dort beauftragt.»
«Du weißt ja, wie das in Norwich ist.» Max klingt immer noch belustigt. «Da wimmelt es nur so von Kirchen.»
«Eine Kirche für jeden Sonntag des Jahres …»
«… und ein Pub für jeden Wochentag», beendet Max den altbekannten Spruch, und sie müssen beide lachen. Ruth ist seltsam
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