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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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gestellt. Lästerliche Fragen über den Heiligen Geist und die Jungfrau Maria.» Sie nickt mit dem Kopf dazu – ein frömmlerischer Reflex.
    «Und was hat Pater Hennessey dazu gesagt?»
    «Er hat ihn ständig in Schutz genommen. Die Kinder hatten beide keinen guten Start ins Leben. Die Mutter war tot, und der einzige lebende Verwandte war dieser Trunkenbold von Vater in Irland. Martin redete ständig von seinem Vater, er hat ihn zu seinem Helden gemacht. Deshalb dachten wir auch, sie wären vielleicht nach Irland gegangen, als sie verschwunden sind.»
    «Sind sie denn völlig aus heiterem Himmel verschwunden?»
    «Wir haben damals alle vermutet, dass Martin etwas ausheckt. Schon Wochen vorher hat er immer wieder Essen stibitzt. Pater Hennessey wusste davon, wollte den Jungen aber nicht zur Rede stellen, bevor er nicht sicher war, was er vorhat. Ich denke, das hat er später bereut.»
    «Und wie dachten Sie darüber?» Judy hat die Erfahrung gemacht, dass alle Menschen gern nach ihrer eigenen Meinung gefragt werden, und Klosterschwestern sind da offenbar keine Ausnahme.
    «Ich fand, der Junge hätte mal eine ordentliche Tracht Prügel verdient. Aber so etwas duldete Pater Hennessey natürlich nicht. Keine körperlichen Züchtigungen, das war die eiserne Regel. Nicht mal eine Ohrfeige, wenn jemand frech wurde. Zu meiner Schulzeit war das noch ganz anders.» Einen Moment lang verfällt sie in dumpfes Brüten, schiebt die Unterlippe vor.
    «Ich habe Pater Hennessey immer gesagt, dass Martin Black unberechenbar ist, aber er wollte nichts davon hören. Er meinte immer nur, der Junge brauche viel Liebe und Aufmerksamkeit. Liebe und Aufmerksamkeit! Was dabei herausgekommen ist, sieht man ja. Er ist weggelaufen und hat seine arme unschuldige kleine Schwester mitgenommen. Wahrscheinlich sind sie alle beide dem Tod in die Arme gelaufen.»
    «Sie glauben also, dass ihnen etwas zugestoßen ist?», fragt Judy.
    Wieder antwortet Schwester Immaculata nicht gleich, und Judy bemerkt erst jetzt, dass sie ihren Rosenkranz in der Hand hält. Sie lässt die Perlen ununterbrochen durch die arthritischen Finger gleiten. «Ja, das glaube ich. Die Welt ist ein gefährlicher Ort für Kinder.»
    «Und was glaubte Pater Hennessey?»
    Schwester Immaculata sieht ihr direkt ins Gesicht, und in ihren blauen Augen liegt ein belustigtes Funkeln. «Haben Sie denn immer noch nicht begriffen, Kindchen? Pater Hennessey ist ein Heiliger. Und Heilige machen uns anderen eine ganze Menge Arbeit.»

[zur Inhaltsübersicht]
    10
    Ruth ist dabei, die Knochen auszugraben. Das Skelett ist inzwischen vollständig freigelegt und von allen Seiten skizziert und fotografiert worden. Jetzt hat Ruth die Aufgabe, die Knochen aus der Erde zu holen, damit sie zur Obduktion gebracht werden können. Sie geht bedächtig vor, gibt jeden Knochen einzeln in einen bereits beschrifteten Beutel und hakt ihn dann auf einer Liste ab, die sie ihren «Skelett-Spickzettel» nennt. Darauf notiert sie auch die Maße und das Erscheinungsbild der einzelnen Skelettteile. Ihren Studenten schärft sie immer ein, respektvoll und sorgsam vorzugehen. Menschliche Knochen, ganz gleich, wie alt, sollten immer denselben Respekt erfahren, den man frisch Verstorbenen zollt. Die Ausgrabung sollte möglichst innerhalb eines Tages abgeschlossen sein, damit keines der Einzelteile verloren geht oder gestohlen wird. Und jeder Knochen wird einzeln geborgen, registriert und konserviert. Ruth war auch schon an Ausgrabungsorten im Einsatz, bei denen viele verschiedene Skelette durcheinander lagen, beispielsweise bei den Kriegsgräbern in Bosnien. Da wird das Sortieren und Registrieren zu einer mühseligen Arbeit. Hier hat sie es nur mit einem einzigen Skelett zu tun, einem kleinen toten Körper, und sie verfährt liebevoll, fast ehrfürchtig mit den Knochen.
    Das Katzenskelett hat Ted der Ire bereits verpackt. Sie hat vor, es auf dem Heimweg noch ins Labor zu bringen. Bisher ist weder der Katzen- noch der Menschenschädel aufgetaucht.
    «Einen wunderschönen guten Tag.» Die Stimme erklingt so dicht an ihrem Ohr, dass Ruth zusammenzuckt. Sie schaut auf und sieht einen attraktiven Mann in ihrem Alter, eine makellose Erscheinung in Baumwollhemd und Leinenhose. Er hat einen älteren Herrn bei sich, der einen Panamahut trägt. Ruth richtet sich auf und schirmt die Augen mit der Hand ab.
    Der jüngere Mann geht in die Hocke, als wollte er gleich in den Graben springen. Ruth ist entsetzt. Wie so ziemlich jeder

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