Knochenhaus (German Edition)
und Elizabeth Black. 1973 sind sie beide spurlos verschwunden.»
«Wie alt?»
«Zwölf und fünf.»
Sie wechseln einen Blick, und beide denken an das kleine Skelett unter der Türschwelle.
«Glaubst du, das könnte sie sein?», fragt Ruth.
«Möglich wär’s doch, oder?»
Ruth ruft sich die kleinen Knochen wieder vor Augen. «Ja, schon. Aber das hieße dann doch …»
«Dass jemand aus dem Kinderheim sie getötet haben muss. Genau.»
«Glaubst du ernsthaft, dass es so war?»
«Genau wissen wir das natürlich erst, wenn du deine Datierung gemacht hast, aber … Ich weiß nicht, Ruth, das ist ein komischer Ort hier. Irgendwas ist da nicht ganz koscher. Das rieche ich. Was sollte übrigens die Frage nach dem Tierfriedhof?»
«Wir haben an der hinteren Gartenmauer das Skelett einer Katze entdeckt.»
«Da wird wohl eine alte Mieze ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.»
«Der Kopf war abgetrennt. Und der Schädel ist nicht zu finden.»
Nelson stößt einen tonlosen Pfiff aus. «Ach du Schande. Glaubst du, da besteht ein Zusammenhang?»
«Wahrscheinlich nicht. Aber ich werde mir die Knochen im Labor mal genauer anschauen.»
«Dieser Fall wird immer schräger.»
«Na ja.» Ruth wiegelt ab, um sich nicht von ihm beeinflussen zu lassen, doch plötzlich fällt ihr die alberne Angst vom Tag zuvor wieder ein. «Es kann doch alle möglichen Erklärungen für die Knochen geben. Wenn man bedenkt, dass hier früher mal ein Friedhof gewesen sein soll, ist es eigentlich erstaunlich, dass wir nicht noch mehr gefunden haben.»
«Aber eine kopflose Katze?» Nelson zieht die Augenbrauen hoch. «Kommt dir das nicht irgendwie schräg vor?»
«Es gibt bestimmt auch dafür eine logische Erklärung», beharrt Ruth. Nelson mustert sie immer noch so seltsam, und sie spürt, dass sie rot wird. Sie ist immer schon schrecklich leicht errötet, und in den letzten paar Wochen ist das anscheinend noch sehr viel schlimmer geworden. Als sie jetzt spürt, wie ihr das Blut in die Wangen schießt, senkt sie den Kopf. «Edward Spens war vorhin hier», sagt sie. «Mit seinem Vater.»
Das lenkt Nelsons Aufmerksamkeit immerhin von ihr ab. Er tritt heftig gegen einen hochkant stehenden Pflasterstein.
«Aufdringlicher Scheißkerl», brummt er. «Was wollte er denn?»
«Sich aufdrängen, nehme ich an. Der Vater war aber ganz süß. Er interessiert sich sehr für Geschichte und hat von der Kirche geredet, die früher mal hier gestanden haben soll.»
«Die hat Pater Hennessey auch erwähnt. Er meinte, sie hätten da Leprakranke geheilt.»
Ruth denkt an den abgetrennten Kopf des heiligen Hugo, der selbsttätig Wunder vollbracht haben soll, an das Kreuz der heiligen Brigid, an kultische Feuer und heilige Quellen. Lauter Märchen natürlich – aber auch äußerst faszinierend, wie das eben so ist bei Märchen.
«Sie sind katholisch, weißt du», sagt Nelson unvermittelt. «Die Familie Spens, meine ich. Hat mir Edward Spens erzählt. Sein Großvater ist in den Fünfzigern zum Katholizismus übergetreten.»
«Ich habe mir doch gleich gedacht, dass etwas komisch an ihm ist», erwidert Ruth.
Sie nähern sich dem alten Torbogen, wo sich auch Kevin Davies eingefunden hat und traurig die Verwüstung ringsum betrachtet. Ruth bleibt stehen, um einen Schluck aus ihrer Wasserflasche zu nehmen.
Nelson legt ihr die Hand auf den Arm. «Alles okay mit dir?»
Sein unerwartet zärtlicher Ton treibt ihr gleich wieder das Blut in die Wangen.
«Alles bestens», faucht sie. «Mir ist einfach nur heiß.»
«Heiß?», sagt Nelson. «In Norfolk ist es doch niemals heiß.» Dann geht er mit großen Schritten über den Bauschutt davon.
11. Juni
Festtag der Fortuna Virgo
Ich habe wohl schon immer gewusst, dass ich etwas Besonderes bin. Noch ehe das alles geschah und der Fluch auf uns niederging, wusste ich bereits, dass die Götter Außergewöhnliches für mich bereit halten. Und das nicht nur, weil ich klug bin (auch wenn mein Intelligenzquotient weit über 140 liegt), sondern weil ich begreife . Wenn ich Plinius und Catull lese, sind die Götter für mich keine bloßen Namen. Sie sind real. Ihre Kraft und Macht überschattet alles, was nach ihnen kommt: das jämmerlich liebesduselige Christentum, die lächerlichen modernen Götzen der Horoskope, der Hypnose und der Lichtspieltheater. Die römischen Götter sind logisch , deshalb liegen sie mir so sehr am Herzen. Wer tötet, muss mit Blut Wiedergutmachung leisten, Leben um Leben. Blut kann nur mit Blut
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