Knochenhaus (German Edition)
dass sie schwanger ist. Irgendwann müssen die Leute es ja ohnehin erfahren. Cathbad hat es schließlich auch erraten. Vielleicht tuscheln ja längst alle hinter ihrem Rücken darüber. Außerdem braucht sie eine Verbündete, bevor sie Phil davon erzählt. Sie holt tief Luft.
«Ich muss dir was sagen, Shona.»
«Was denn?» Shona ist sofort ganz bei der Sache; ihre Augen mit den langen glänzenden Wimpern richten sich fest auf Ruths Gesicht.
Wie soll man das bloß in Worte fassen? «Ich erwarte ein Kind»? Das klingt so affektiert, und außerdem fällt es ihr immer noch schwer, sich klarzumachen, dass sie am Ende ein Kind haben wird. Am besten bleibt sie einfach bei den Tatsachen.
«Ich bin schwanger», sagt sie.
«Was?»
Plötzlich fürchtet Ruth sich vor dem, was sie gleich in Shonas Gesicht sehen wird. Sie weiß, dass Shona selbst zweimal schwanger war und beide Male abgetrieben hat. Ob sie wohl Neid in ihrer Miene lesen wird, Hass oder Groll? Sie zwingt sich aufzuschauen und bemerkt zu ihrem Erstaunen, dass Shona Tränen in den Augen hat.
«Ich bin schwanger», sagt Ruth noch einmal.
Shona streckt die Hand aus und berührt sie am Arm. «O Ruth …», sagt sie mit tränenerstickter Stimme. Dann setzt sie hinzu: «Bist du sicher?»
«Ja. Ich bin etwa in der dreizehnten Woche.»
«In der dreizehnten Woche. Meine Güte!» Shona wischt sich die Tränen ab und gewinnt langsam ihre Fassung zurück. Jetzt liegt nur noch blanke Neugier in ihrer Miene. Und dann stellt sie die Frage, vor der Ruth sich am meisten fürchtet.
«Und wer ist der Vater?»
«Das möchte ich lieber nicht sagen.» Das kommt kaum besser an als bei Ruths Eltern. Shona schüttelt ungeduldig ihr Haar.
«Ach, komm schon, Ruth. Mir kannst du es doch erzählen. Ist es von Peter?»
«Ich kann’s dir nicht sagen.» Jetzt stehen Ruth plötzlich selbst Tränen in den Augen. «Bitte.»
Shona beugt sich vor, um sie richtig zu umarmen. «Tut mir leid. Ich bin einfach nur … total baff. Wirst du es denn behalten?»
«Ja.»
«Das ist ganz schön mutig», sagt Shona leise.
«Eigentlich nicht. Ich habe das noch gar nicht zu Ende gedacht. Was es genau bedeutet, meine ich. Aber ich will es. Sehr sogar», setzt sie nach kurzem Schweigen hinzu.
«Du wirst sicher eine ganz tolle Mama! Darf ich Patin werden?»
«Ja. Aber nur im strikt nicht religiösen Sinn.»
«Dann bin ich also seine Tante. So, wie ich auch schon Flints Tante bin.» Shonas Lachen klingt jetzt hörbar gezwungen.
«Es wird alles an Familie brauchen, was es kriegen kann», sagt Ruth. «Meine Eltern haben mich nämlich mehr oder weniger enterbt.»
«Im Ernst? Dass so was heute überhaupt noch passiert! Alle Welt kriegt doch Kinder, ohne verheiratet zu sein. Selbst meine Mutter würde sich darüber nicht weiter aufregen, dabei ist sie eine verrückte irische Katholikin.»
«Meine Eltern sind ziemlich … altmodisch.»
«Offensichtlich.» Shona dreht ihr Weinglas zwischen den Fingern, dann fragt sie: «Weiß Phil es schon?»
«Nein, noch nicht. Aber ich muss es ihm bald erzählen, bevor man es nicht mehr übersehen kann. Heute habe ich Cathbad getroffen, der hat es sofort gemerkt.»
«Cathbad? Wirklich?» Shona kennt Cathbad ebenfalls von früher. Sie sind sich vor vielen Jahren bei der Henge-Grabung begegnet. Ruth weiß, dass Shona sich anfangs auf die Seite der Druiden geschlagen hat, die den Henge an Ort und Stelle lassen wollten, und gegen die Archäologen und ihren Plan war, ihn ins Museum zu schaffen. Sie fragt sich, was Phil, ein Spießbürger bis ins Mark, wohl von Shonas esoterischen Anwandlungen hält.
«Vielleicht haben die Geister es ihm ja geflüstert», sagt Shona jetzt.
«Kann sein.» Ruth muss daran denken, dass Cathbad meinte, Max habe «Respekt vor der Welt der Geister». Plötzlich steht ihr ein ganzes Heer aus Schatten vor Augen, das sie ständig umgibt, fragt, kommentiert und urteilt. Seltsamerweise haben sie alle eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Mutter.
«Er gibt am Freitag eine Party», sagt sie.
«Eine Party?»
«Na ja, wohl eher eine Feier zu Ehren von Imbolc. Irgendso ein keltisches Fest zum Frühlingsanfang. Cathbad macht ein Fest am Strand. Willst du mitkommen?»
Die Aussicht auf ein Fest heitert Shona sichtlich auf. «Warum nicht? Ein kleines satanisches Ritual ist genau das Richtige, um mich auf andere Gedanken zu bringen.»
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12
Doch wie sich herausstellt, kann man sich kaum etwas weniger Satanisches denken als das
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