Knochenhaus (German Edition)
er ist ein kluger Mann und immer auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Ich kann ihm jederzeit plausibel machen, dass ich das Chloroform für ein chemisches Experiment in der Schule benötige.
Die eigentliche Hürde ist wie immer sie. Sie lässt das Kind niemals aus den Augen. Ich muss sie bitten … nein, ihr befehlen, immerhin bin ich ja Herr im Haus …, es an den Nachmittagen allein zu lassen. Bestimmt hat sie doch noch andere Pflichten im Haus zu erfüllen.
Mir bleibt nur noch eine knappe Woche, um zu handeln. Unglücklicherweise bin auch ich manchmal schwach, und die Götter senden mir schreckliche Träume. Dann erwache ich schwitzend und schreiend – es ist eine Schande. Doch ich werde mich nicht beirren lassen. Ich habe zu fasten begonnen, um das Fleisch zu reinigen. Alles muss bereit sein.
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16
Das Ergebnis der DNA-Analyse zeigt, dass das Skelett unter der Türschwelle die Leiche eines kleinen Mädchens ist. Nach der Autopsie steht außerdem fest, dass das Kind noch keine sechs Jahre alt war. Und Nelson findet, dass Pater Hennessey ihm ein paar Erklärungen schuldet.
Diesmal gibt es keinen gemütlichen Spaziergang durch den Park. Nelson lädt den Priester ins örtliche Polizeirevier vor. Ein Wagen wird losgeschickt, um ihn zu holen, und als Hennessey den Raum betritt, sitzt Nelson mit steinerner Miene am Tisch. Clough ist ebenfalls anwesend, und Nelson spricht in das Aufnahmegerät: «Verhörbeginn um vierzehn Uhr. Anwesend sind Detective Chief Inspector Harry Nelson und Detective Sergeant David Clough.»
Pater Hennessey lächelt höflich und nimmt dann Nelson gegenüber Platz. Er zeigt sich nicht weiter erstaunt über den feindseligen Empfang und unternimmt auch seinerseits keinen Versuch, Smalltalk zu machen. Ruhig wartet er auf Nelsons erste Frage.
«Pater Hennessey.» Nelson würde sich eher die Zunge abbeißen, als ihn noch einmal «Vater» zu nennen. «Sie haben die beiden Kinder erwähnt, die 1973 verschwunden sind.»
Natürlich haben sie bereits Recherchen zu den Kindern angestellt. Nelson hat gehofft, zahnärztliche Unterlagen zu Elizabeth Black zu finden, um sie mit dem Schädel vergleichen zu können, doch anscheinend war Elizabeth nie beim Zahnarzt. Und seit 1973 sind beide Kinder wie vom Erdboden verschluckt.
«Ja.» Pater Hennessey sieht ihn aufmerksam an.
«Erzählen Sie uns bitte etwas genauer, wie sie verschwunden sind.»
Pater Hennessey seufzt. «Es war Abend. Die Kinder hatten immer etwas Freizeit vor dem Abendessen, und die meisten spielten draußen im Garten. Selbstverständlich unter Aufsicht. Gegen sechs hat Schwester Immaculata sie ins Haus gerufen, doch von Martin und Elizabeth fehlte jede Spur. Erst dachten wir, sie verstecken sich nur. Martin neigte zu … Lausbubenstreichen. Aber nachdem wir das ganze Haus und den Garten abgesucht hatten, haben wir uns doch Sorgen gemacht.»
Er hält inne, und Nelson fragt: «Wann haben Sie die Polizei benachrichtigt?»
«Unmittelbar danach. Sie haben das Haus und das gesamte Grundstück noch einmal durchsucht, aber nichts gefunden. Unsere Betreuerinnen waren außer sich. Anschließend wurde die Suche auf ein weiteres Gebiet ausgedehnt.»
«Haben Sie auch mitgesucht? Sie selber?»
Die hellblauen Augen des Paters blicken an Nelson vorbei in die Ferne. «Ich habe die ganze Nacht nach ihnen gesucht», sagt er schließlich. «Im Haus, im Garten. Später bin ich mit dem Motorrad durch Norwich gekurvt, habe in abgelegenen Gassen und verlassenen Häusern gesucht, überall. Ich dachte, sie verstecken sich vielleicht irgendwo.»
«Sie hatten ein Motorrad?», platzt Clough heraus.
«Das ist meines Wissens nicht verboten», antwortet Hennessey freundlich.
«Und bei all diesen Suchaktivitäten», mischt Nelson sich wieder ein, «hat die Polizei da jemals irgendwo im Garten gegraben?»
«Nein.»
Pappnasen, denkt Nelson. Wahrscheinlich haben sie sich einfach zu sehr von diesem hochheiligen motorradfahrenden Priester einwickeln lassen. Sie haben ihm einfach nicht zugetraut, dass er die Kinder getötet haben könnte. Doch Nelson sieht das anders.
«Haben sie auch im Brunnen gesucht?», fragt er.
Jetzt zeigt Pater Hennessey doch eine erstaunte Miene. «Nein. Der war vernagelt, zugemauert. Da konnte kein Kind hineingefallen sein.»
Nelson erwidert nichts. Er läutet eine neue Runde des Schweigespiels ein. Und diesmal bleibt er Sieger.
«Haben Sie etwas im Brunnen gefunden?»
«Einen Schädel», sagt Nelson. «Von
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