Knochenhaus (German Edition)
Pater Hennessey sichtlich entsetzt, aber auch ernsthaft überrascht – allerdings nicht so sehr, dass er daraufhin mit einem Geständnis herausgeplatzt wäre. Aber das hat Nelson im Grunde auch nicht erwartet: Pater Hennessey hat schließlich die Ruhe weg. Trotz aller oberflächlichen Wärme strahlt er etwas Beherrschtes, fast Hartes aus. Aber macht ihn das gleich zum Mörder?
«Glauben Sie, er war’s?», will Nelson von Clough wissen, während sie durch ein malerisches Dörfchen nach dem anderen brausen («Runter vom Gas», verlangen die Schilder. «Den Kindern zuliebe.»).
«Der Pfaffe? Kann schon sein. Wäre ja nicht weiter schwierig gewesen, sie umzubringen, die Leichen zu verstecken und dann später zu beerdigen. Die Kollegen haben ja nicht mal gegraben.»
«Diese gottverdammten Knalltüten», knurrt Nelson zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. «Was meinen Sie, ob noch irgendwer aus der Zeit im Dienst ist?»
«Tom Henty vielleicht. Sie wissen schon, der Typ, der immer am Empfang sitzt. Der ist schon seit Jahrhunderten dabei.»
«Gute Idee. Ich werde mal mit ihm reden.»
«Glauben Sie denn, dass es Hennessey war?» Clough sieht seinen Chef fragend an.
«Ich glaube, er hat etwas zu verbergen», antwortet Nelson zögernd. «Und es hat etwas mit den Kindern zu tun. Vielleicht deckt er ja jemanden.»
«Was ist mit der Nonne? Judy meinte doch, die spinnt.»
«Im Gegenteil. Sie meinte, sie hätte einen messerscharfen Verstand.»
«Das läuft doch aufs selbe raus. Die Nonne könnte die beiden umgebracht haben.»
«Und warum?»
«Vielleicht hat sie ja die Kleine missbraucht, und der Junge hat es mitbekommen.»
«Sie hören sich an wie ein Klatschmagazin.»
«Vielen Dank.»
«Das war nicht als Kompliment gemeint. Außerdem wird man die Leiche eines Zwölfjährigen nicht so einfach los.»
«Aber wenn sie nicht tot sind, wo sind sie dann?»
«Genau das ist die Frage. Wir müssen den Suchradius erweitern, Verwandte in Irland auftreiben, mit anderen Leuten reden, die mit dem Heim zu tun hatten. In neun von zehn Fällen tauchen Vermisste genau da wieder auf, wo sie verschwunden sind. Als könnten sie sich nicht von dort fernhalten.»
«Dann glauben Sie also, sie leben noch?»
«Zumindest der Junge vielleicht. Er war schon alt genug, um alleine klarzukommen. Aber das Mädchen … Ich denke, das könnte unser Skelett sein.»
«Das wäre ja sonst auch ein gewaltiger Zufall», sagt Clough, während er die leere Flipstüte mit angefeuchtetem Zeigefinger austupft. «Zwei tote kleine Mädchen auf demselben Grundstück.»
«Ja», sagt Nelson abwesend. Er denkt über das Grundstück nach: Es hat ein Kinderheim beherbergt und einen Friedhof, vielleicht sogar eine römische Villa. Wer weiß, wie viele Umbrüche es noch mitgemacht, wie viele Todesfälle es noch erlebt hat? Er schüttelt sich innerlich. Was ist eigentlich los mit ihm? Er fängt schon an, so zu denken wie Cathbad.
«Wissen Sie, was ich komisch fand?» Clough hat seine Krümeljagd inzwischen beendet. «Dass er so viel von Liebe geredet hat.»
«Das tun Priester eben.»
«Aber das war doch mehr als normal. Er hat gesagt, die Kleine hätte ‹viel Liebe in anderen erweckt›. Das fand ich schon ein bisschen seltsam.»
Nelson denkt darüber nach. War das tatsächlich seltsam? Er selbst hat Hennesseys Bemerkung, dass alle Elizabeth geliebt hätten, als typisches Priestergerede abgetan. Aber vielleicht hat Clough ja recht? Vielleicht ist hier doch etwas nicht ganz koscher? Ist es ungewöhnlich, so von einem fünfjährigen Mädchen zu reden? Wollte der Priester damit ausdrücken, dass er auf irgendeine verdrehte Weise in die Kleine verliebt war?
«Und die Nonne hat das auch gesagt. Es steht in Judys Bericht. Sie hat gesagt, Hennessey hätte gefunden, der Junge bräuchte ‹viel Liebe und Aufmerksamkeit›.»
Nelson ist beeindruckt, dass Clough sich so genau daran erinnert. Aber was für eine traurige Welt wäre das, in der man nicht einmal mehr Kinder lieben darf?
«Vielleicht hat er sie ja wirklich geliebt», gibt er zu bedenken, «auf eine völlig unsexuelle, väterliche Weise.»
«O Mann», spöttelt Clough. «Sie hören sich auch schon an wie eine Betschwester.»
«Bockmist», brummt Nelson ärgerlich und biegt auf die Autobahn ab, ohne groß auf die anderen Autos zu achten. «Ich will nur einfach keine Möglichkeit ausschließen. Keine vorschnellen Schlüsse, das hat mein erster Chef immer zu mir gesagt.»
«Sonst ist ganz schnell
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