Knochenhaus (German Edition)
Schluss mit lustig, ich weiß.» Clough schaut aus dem Fenster, und Nelson fragt sich, ob sein Sergeant nicht langsam etwas überheblich wird. Aber ein paar Stündchen im Archiv werden ihn schon wieder zurechtstutzen.
«Morgen», sagt er streng, «machen Sie sich mal auf die Suche nach Informationen zu den Verwandten der Kinder. Und besorgen Sie sich auch die Grundbucheinträge für das Haus. Ich will eine Liste von allen, denen es je gehört hat.»
«Großer Gott», murmelt Clough und meint das mit Sicherheit nicht im religiösen Sinn.
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17
Max hat vorgeschlagen, sich in Reedham zu treffen, was Ruth ausgesprochen ungelegen kommt. Reedham liegt mitten in den Broads, am anderen Ende von Norwich. Um dorthin zu kommen, muss man eine ebenso lange wie langweilige Fahrt durch die sieben Kreise der Hölle, auch bekannt als Umgehungsstraße von Norwich, auf sich nehmen. Warum in aller Welt treffen wir uns nicht irgendwo in King’s Lynn?, denkt sie, als sie missmutig ins Auto steigt. Das Städtchen leidet schließlich nicht gerade unter chronischem Restaurantmangel. Vielleicht ist Max ja so ein Möchtegern-Gourmet und führt sie in irgendein experimentelles Lokal, wo man Eis mit Wurstgeschmack und frittierte Igel serviert bekommt. Nun, falls ihr jemand einen frittierten Igel vorsetzen sollte, würde sie sich mit Sicherheit sofort erbrechen, was demjenigen dann auch ganz recht geschähe. Eigentlich wäre es ihr fast lieber, mit einer Tiefkühllasagne daheim zu bleiben und sich The Wire im Fernsehen anzuschauen.
Sie sind im Ship verabredet, einem bekannten Lokal am Fluss, das vor allem bei Ausflüglern beliebt ist. Er wird sie hoffentlich nicht die ganze Strecke fahren lassen, um dann in einem Pub voll grölender Londoner zu essen?
Max sitzt an einem Tisch mit Blick auf den Fluss. Als er Ruth hereinkommen sieht, springt er auf, und sobald sie nah genug bei ihm ist, küsst er sie schüchtern auf die Wange. Also doch ein richtiges Date?
«Hallo, Ruth! Du siehst toll aus.»
Ruth trägt eine Baumwollhose und eine weite Tunika. Als dieser Stil in Mode kam, fand sie ihn schrecklich, weil man darin zwangsläufig schwanger aussah. Jetzt ist genau das der Vorteil.
«Essen wir hier?» Sie macht eine Armbewegung in den Raum hinein, der im Abendlicht nun doch ganz einladend wirkt. Die Tische füllen sich nach und nach, und vom Fluss her nähern sich die Schwäne in der Hoffnung auf einen kleinen Imbiss.
«Hier? Nein, ein Stückchen weiter weg.»
Zu Ruths Erstaunen führt er sie zu seinem Wagen.
«Wo fahren wir denn hin?», erkundigt sie sich misstrauisch.
«Das wirst du schon sehen.»
Sie passieren die Häuser am Hang, deren gepflegte Gärten bis an den Fluss hinunterreichen. Ob Max hier ein Haus hat? Falls ja, muss er deutlich mehr verdienen als andere Archäologen. Doch Max fährt an den Wohnhäusern vorbei und biegt auf eine unbefestigte Straße ab. Weiter vorn ragen Schiffsmasten in die Höhe.
Er hält am Ende der Straße, neben geparkten Autos und einem niedrigen Schuppen mit der Aufschrift «Duschen». Vor ihnen liegt ein kleiner Jachthafen, in dem sich blankpolierte Boote drängen. Einige Bootsbesitzer grillen an Deck, Kinder und Hunde tollen herum. Es wirkt alles ganz idyllisch, doch Max würdigt die Bootsbesitzer kaum eines Blickes. Er überquert zielstrebig den Ponton, der unter seinen Schritten gefährlich schwankt. Ruth folgt ihm vorsichtiger. Sie will auf keinen Fall riskieren, ins Wasser zu fallen und sich von einem dieser angetrunkenen Freizeitkapitäne retten zu lassen. Dann haben sie das Ende des Hafens erreicht, und Max bleibt vor einem kleinen Holztor stehen. «Jetzt sind wir gleich da.»
Das Törchen führt auf einen weiteren Ponton, der noch wackliger wirkt als der im Hafen. Während sie nacheinander darübergehen, betrachtet Ruth den Fluss, der rasch und geschmeidig wie Seide neben ihnen dahinfließt. Zu beiden Ufern erstrecken sich Felder, die Ähren sind fast mannshoch. Es wird langsam dunkel, und die Vögel über dem Schilf fliegen bereits tief. Weiter vorn gabelt sich der Fluss wie auf der Abbildung in einem Kinderbuch. Welchen Weg wirst du wählen?
«Da ist sie!», ruft Max unvermittelt.
Ruth schaut sich verwirrt nach einer «Sie» um. Hat Max sie den ganzen weiten Weg etwa nur machen lassen, um sie seiner Frau vorzustellen? Doch dann wird ihr klar, dass Max auf ein Boot deutet, das am äußersten Ende des Pontons vertäut liegt. Es ist klein und kompakt, blau und weiß
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