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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Blättern rascheln hört, muss er an die Sterbeurkunde seines Vaters denken, diese wenigen, gestelzten Worte, die so viel Schmerz und so viel Trauer in sich bargen. Bei seinem Vater war als Todesursache ein «akuter Myokardinfarkt» angegeben. Nelson hatte damals keine Ahnung, was das heißen sollte.
    «Todesdatum und Ort des Ablebens», liest Judy vor, «24. Mai 1952, Woolmarket House, Woolmarket Street, Norwich. Todesursache: Scharlach. Das kriegen Kinder heutzutage nicht mehr, oder?»
    «Kriegen tun sie’s schon noch», sagt Nelson. «Sie sterben nur nicht mehr daran.» Er bleibt stehen, um eine Gruppe Schulkinder vorbeizulassen, die fotokopierte Arbeitsblätter bei sich haben und versuchen, sich gegenseitig ein Bein zu stellen.
    «Sie ist zu Hause gestorben», sagt Judy am Telefon. «Wieso war sie denn nicht im Krankenhaus?»
    «Was weiß ich? Vielleicht war es damals üblich, kranke Kinder zu Hause zu pflegen.»
    «Aber sie hatten doch Geld, sie hätten sich eine ordentliche Behandlung leisten können. Damals gab es doch noch kein staatliches Gesundheitssystem?»
    «Es kam gerade erst auf.»
    Die Kinder drängeln durch die Glastüren ins Museum. Nelson hört noch, wie die Lehrerin ihnen erklärt, dass sie in verschiedene Gruppen aufgeteilt würden. «Du kommst in meine Gruppe, Ryan.» Das war’s dann mit dem Spaß für heute, Ryan, du armer Kerl.
    «Was ist mit den Belegen für die Beisetzung?», fragt er.
    «Darum kümmert sich Tanya», sagt Judy in leicht gereiztem Ton. «Aber glauben Sie im Ernst, Boss, dass Annabelle im Haus und nicht auf dem Friedhof beigesetzt wurde?»
    «Keine Ahnung», sagt Nelson. «Aber irgendwas ist seltsam an dem Haus. Dieser ganze Fall ist ziemlich seltsam.»
    Gerade hat er den Kurator besucht, um herauszufinden, wie das Fötusmodell aus dem Museum entkommen konnte, um dann in einem Graben in Swaffham vor Ruths Füßen zu landen. Der Mann war äußerst zuvorkommend, konnte ihm aber auch keine Erklärung dafür geben. Die Modelle der verschiedenen embryonalen Entwicklungsphasen seien erst kurz zuvor aus den Ausstellungsräumen entfernt und eingelagert worden (anscheinend gab es einige Beschwerden besorgter Eltern). Wer Zugang dazu habe? Nun, so ziemlich das gesamte Museumspersonal. Die wertvolleren Ausstellungsstücke würden natürlich im Tresor aufbewahrt, aber wer klaue denn schon das Plastikmodell eines Fötus? Genau das hätte Nelson auch gern gewusst.
    Er bleibt auf den Stufen vor der Burg stehen, blickt über die Dächer von Norwich hinweg und überlegt, wie er jetzt am besten weiter vorgeht. Soll er wieder zu Edward Spens fahren und ihn noch einmal eingehend befragen? Er ist überzeugt, dass der Mann etwas verschweigt. Oder soll er zurück aufs Revier fahren und Tanya wegen der Bestattungsbescheinigung die Hölle heißmachen? Die zahnärztlichen Unterlagen müssen sie sich auch noch besorgen. Nelson seufzt. Es ist ein heißer, drückender Tag, und im Grunde will er eigentlich nur ein kühles Bier vor irgendeinem Pub. Clough an seiner Stelle würde da jetzt nicht lange fackeln, da ist er sich sicher.
    «Hallo, Detective Chief Inspector.»
    Nelson fährt herum. Vor ihm steht eine junge Frau mit feuerrotem Haar und grinst ihn herausfordernd an. Wer ist das noch gleich? Eine Freundin seiner Töchter? Oder eine von Michelles hippen Bekanntschaften?
    «Ich bin Trace», hilft ihm die Erscheinung auf die Sprünge. «Von der Ausgrabung.»
    Ach ja. Das magere Mädchen, das am ersten Tag auf dem Baugrundstück mit dabei war. Die, von der alle glauben, dass Cloughie in sie verknallt ist. Na, jedem das Seine, denkt Nelson, während er den Blick über das Metall wandern lässt, das Trace’ Ohrläppchen und Lippen ziert. Aber alles in allem macht sie ja einen ganz netten Eindruck.
    «Was machen Sie denn hier?», will sie wissen.
    «Routinebefragung», antwortet er. «Und Sie?»
    «Ich arbeite montags und freitags immer hier. Die Feldarchäologie hält mich nicht das ganze Jahr beschäftigt, deshalb mache ich nebenher noch etwas Museumsarbeit, bereite Fundstücke auf und solche Sachen.»
    Nelson hat keine Ahnung, was er sich unter der Aufbereitung von Fundstücken vorzustellen hat, doch eines weiß er: Trace ist eine wichtige Kontaktperson im Museum. Vielleicht hat sie ja beobachtet, wie sich jemand mit einem Ausstellungsstück aus dem Staub gemacht hat? «Haben Sie Lust, was trinken zu gehen?», fragt er.

    Ruth versucht, eines der hübschen Cafés rund um die Woolmarket Street

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