Knochenhaus (German Edition)
Ruth, dass sie rot wird. «Er ist ein guter Ermittler», sagt sie.
«Und ein guter Mensch», ergänzt Hennessey leise, «was ihn sicher sehr viel mehr in Schwierigkeiten bringt.»
Nelson entscheidet sich schweren Herzens für eine Cola, doch Trace bestellt sich ein Pint Bitter.
«Ich dachte, alle Archäologen trinken Cider», kommentiert Nelson.
Trace verzieht das Gesicht. «Cider ist was für Weicheier.»
Eine Frau nach meinem Herzen, denkt Nelson. Laut sagt er: «Wie lange arbeiten Sie denn schon als Archäologin?»
«Vor fünf Jahren bin ich mit der Uni fertig geworden. Dann habe ich noch einen Master in London drangehängt und eine Zeit lang in Australien gearbeitet. Eigentlich wollte ich ja nicht zurück nach Norwich, aber meine Eltern leben hier, da ist es natürlich viel billiger, bei ihnen zu wohnen. Und archäologisch gibt es hier jede Menge zu tun.»
«Ziemlich viel Frühgeschichte», sagt Nelson. Das weiß er von Ruth.
Trace nickt. «Ja, vor allem aus der Bronze- und Eisenzeit. Und von den Römern natürlich. Das ist meine Lieblingsepoche, das alte Rom.»
«Haben Sie Gladiator gesehen? Klasse Film.»
Trace schnaubt nur verächtlich. «Solche Filme stellen alles ganz falsch dar. Da wird immer nur dekadent rumgelegen und Trauben gefuttert. Dabei haben die Römer hier für Recht und Ordnung gesorgt, sie haben eine Infrastruktur eingeführt. Bevor sie kamen, waren wir doch nur ein Haufen verstreuter und verfeindeter Stämme.»
Nelson, der dieses «Wir» völlig korrekt auf die Briten bezieht, erwidert leicht entrüstet: «Aber sie waren doch die Eindringlinge, die Besatzungsmacht. Oder etwa nicht?»
«Sie haben vierhundert Jahre hier verbracht. Das sind über fünfzehn Generationen. Und kaum waren sie fort, haben wir umgehend alles vergessen, was sie uns beigebracht hatten: Steinhäuser, Bautechnik, Glasbläserei, Töpferkunst. Wir haben uns mit Anlauf ins Mittelalter gestürzt.»
Nelson erfüllt das eher mit Stolz. Da waren sie vierhundert Jahre lang hier, denkt er, aber für uns sind sie trotzdem immer die Außenseiter geblieben, die Besatzungsmacht mit ihrer ach so tollen Glasbläserei. An diesen Gedanken lässt er Trace aber lieber nicht teilhaben.
«Waren Sie schon bei der Ausgrabung in Swaffham?», fragt er stattdessen. «Bei Max Grey?»
Trace strahlt. «Ja. Ich habe sogar ziemlich viel selbst daran mitgearbeitet. Max ist toll. Er kennt sich so gut aus in seinem Bereich. Neulich hat er eine Riesenführung für die Pfadfinder gemacht. Richtig lebendig.»
«Kommen denn viele Besucher, um sich die Ausgrabung anzusehen?»
Sie zuckt die Achseln. «Schon einige. Seit bei Time Team darüber berichtet wurde, hat sich das ja ziemlich rumgesprochen. Wir hatten schon ganze Busladungen.»
«War Edward Spens auch mal da?»
So offen und lebhaft Traces Miene auch war, als sie von der Überlegenheit der Römer erzählt hat, jetzt schaut sie wieder verschlossen drein. «Einmal, glaube ich. Da war ich aber nicht dort.»
«Aber Sie kennen ihn?»
«Den kennt hier in Norwich doch jeder.»
«Die Familie Spens», erklärt Nelson später seinem Team, «lebt bereits seit Generationen in Norwich. Walter Spens hat das Haus an der Woolmarket Street selbst erbaut. Nach allem, was man hört, muss er ziemlich exzentrisch gewesen sein. Er hat ausgestopfte Tiere gesammelt und sich gern mal als afrikanischer Stammeshäuptling verkleidet.»
Clough, der ganz hinten sitzt und Erdnüsse mampft, verschluckt sich fast und muss schrecklich husten. Nelson wirft ihm einen finsteren Blick zu.
«Sein Enkel, Christopher Spens, war Direktor der Privatschule St. Saviours, die sich früher an der Waterloo Road befand. Nach Aussage seines Sohnes, Roderick Spens, war er ein richtiger Haustyrann. Seine Kinder mussten ‹Sir› zu ihm sagen, und bei den Mahlzeiten wurde nur Latein geredet.»
Nelson hält inne. Sir Roderick hat das Wort «Haustyrann» nicht verwendet, als er von seinem Vater erzählte; im Gegenteil, er klang sogar bewundernd. Doch Nelson hat trotzdem den Eindruck gewonnen, dass Christopher Spens ein kalter, herrschsüchtiger Mensch war. Er fragt sich, ob da nicht seine eigenen Vorurteile gegen Privatschulen, Latein und ganz allgemein gegen arrogante Zeitgenossen durchschlagen.
Er mustert seine Leute. Clough prustet immer noch Erdnussstückchen durch den Raum. Tanya Fuller hat ihr Notizbuch aufgeschlagen vor sich. Judy Johnson hält den Blick mit leicht gerunzelter Stirn auf Nelsons Gesicht gerichtet.
«Sir
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