Knochenhaus (German Edition)
haben», sagt Hennessey. «Es war ein sehr imposantes Gebäude.»
Sie gehen gemeinsam durch den Garten zurück. Einmal bleibt Hennessey vor einem gefällten Baum stehen und tätschelt ihm traurig den Stamm. Es wird immer heißer. Gewitterwetter, denkt Ruth. Das Oberteil klebt ihr bereits am Rücken, und ihre Füße sind anscheinend längst geschmolzen und fühlen sich an, als würden sie über die Ränder der Schuhe schwappen. Sie sehnt sich danach, sich hinzulegen.
Als sie wieder vor dem Haus stehen, schaut Hennessey zu dem steinernen Torbogen hinauf.
« Omnia mutantur, nihil interit. Alles verändert sich, nichts vergeht.»
«Dann war dieser Torbogen also schon zu Ihrer Zeit hier?»
«O ja. Das Ding ist natürlich ein Nachbau, reine Extravaganz, aber doch recht eindrucksvoll. Und ich fand die Inschrift immer schon sehr treffend. Als Christ glaubt man schließlich auch, dass der Tod nur Veränderung ist und nicht das Ende.»
Ruth sagt nichts dazu. Für sie ist der Tod einfach nur der Tod. Man kann ihn nicht austricksen, außer vielleicht indem man ein Kind bekommt. Doch Hennesseys Worte erinnern sie noch an etwas anderes, an Max nämlich, der ihr am Strand im Schein des Imbolc-Feuers von Janus erzählt hat. Er ist nicht nur der Gott der Türschwellen, sondern jeder Art von Übergang und Wandel von einem Zustand in den anderen. Der ultimative Übergang: vom Leben in den Tod.
«Miss Galloway.» Hennesseys sanfte Stimme mit ihrer irischen Melodie reißt sie aus ihren Gedanken. «Könnten Sie mir vielleicht zeigen … wo Sie die Leiche gefunden haben?»
«Natürlich. Und bitte nennen Sie mich Ruth.» Sie kann es nicht ausstehen, wenn man «Miss» zu ihr sagt, und «Doktor Galloway» klingt viel zu förmlich.
Ein Teil der Fassade steht noch, ebenso wie die Stufen und der steinerne Portikus. Ob sie wohl aus derselben Zeit stammen wie der Torbogen? Zumindest wirken sie ähnlich prunkvoll. Reine Extravaganz, hat der Priester gesagt. Das Wort hinterlässt in Ruths Ohren einen unangenehmen Nachhall.
«Vorsicht», sagt sie, als sie durch die Tür treten. Auf der anderen Seite befindet sich immer noch der schmale Sims mit den Resten der schwarz-weißen Fliesen. Der wird wohl erst ganz zum Schluss verschwinden, denkt Ruth. Die letzte Verbindung zum einstigen Haus.
«Hier entlang.» Sie führt Hennessey über den Sims. Als sie in den Graben klettern, stolpert der Priester und stürzt beinahe.
«Alles in Ordnung?»
«Alles bestens.» Doch er atmet merklich schwerer. Ruth vermutet, dass er Ende siebzig sein muss, vielleicht auch schon über achtzig.
Sie deutet auf den Erdhaufen direkt vor ihnen. «Hier lag die Leiche, direkt unter der Türschwelle. Wir haben sie geborgen, alles andere aber so weit wie möglich unberührt gelassen.» Sie mustert Hennesseys Miene. «Wir gehen immer sehr sorgsam vor», hört sie sich sagen. «Sehr respektvoll.»
Hennessey bewegt einen Moment lang tonlos die Lippen. Ob er betet? Dann sagt er: «Direkt unter der Türschwelle, sagen Sie?»
«Ja.» Die Embryohaltung behält Ruth für sich.
«Und der Schädel lag im Brunnen?»
«So ist es.»
Hennessey schweigt ein paar Minuten, dann sagt er: «Stört es Sie, wenn ich ein Gebet spreche?»
«Bitte.» Ruth zieht sich ein wenig zurück. Sie findet öffentliches Beten schon unter normalen Umständen eher peinlich, doch in einem Graben zu sitzen, während neben ihr jemand lateinische Verse deklamiert und ein Weihrauchfässchen schwenkt – das ist ein wahrgewordener Albtraum für sie.
Doch Hennesseys Gebet ist glücklicherweise nicht allzu lang, er spricht leise und – soweit Ruth das mitbekommt – nicht einmal auf Lateinisch. Am Ende zieht er ein Fläschchen aus der Tasche und sprenkelt etwas Wasser auf den Boden.
«Weihwasser», erläutert er. Dann sieht er Ruths Miene. «Sie sind wohl nicht katholisch?», fragt er in belustigtem Ton.
«Nein. Meine Eltern sind zwar Christen, aber ich bin … gar nichts.»
«Oh, Sie sind durchaus einiges, Ruth Galloway», sagt Pater Hennessey. Er mustert sie noch einen weiteren Augenblick, und Ruth hat das merkwürdige Gefühl, dass er sie in- und auswendig kennt, viel besser noch als sie sich selbst. Dann ist der Moment vorüber, und Hennessey sagt munter: «Ich bin halb verdurstet. Haben Sie noch Lust auf einen Kaffee?»
Nelson kommt gerade aus dem Museum, als Judy ihn anruft. «Ich habe die Sterbeurkunde von Annabelle Spens, Boss.»
«Gut. Steht was Interessantes drin?»
Während er sie mit
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