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Knochenhaus (German Edition)

Knochenhaus (German Edition)

Titel: Knochenhaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Umschalten gab es nur zwei Möglichkeiten: BBC 1 oder BBC 2. Den dritten Kanal, ITV, hielten Ruths Eltern aus irgendeinem Grund für ordinär – wahrscheinlich schauten sie deswegen auch immer Ich, Claudius, Kaiser und Gott , obwohl es sie so anwiderte. Es mochte von Sex und Gewalt nur so strotzen, aber es kam immerhin auf BBC 2 und war allein dadurch die ungefährlichere Wahl.

    Vor ihr auf dem Couchtisch liegt das schwarze Tuch, das ihr vor kaum einer Stunde über den Kopf gestülpt worden ist. Ruth beugt sich vor, um den Stoff genauer zu begutachten, ohne ihn anzufassen. Das Tuch ist aus einem schweren schwarzen Material, fast einer Art Öltuch, und wie Tanya schon gesagt hat, ist es am Saum beschwert, als wäre es extra dafür gemacht, etwas dauerhaft abzudecken.
    «Sieht aus wie eins von den Dingern, mit denen man Statuen zudeckt», sagt eine Stimme hinter ihr. Nelson ist zurück, er bringt kalte Luft mit sich und eine Aura von Aktivismus und Effizienz, die fast mit Händen zu greifen ist. Und ganz gegen ihren Willen fühlt Ruth sich gleich deutlich sicherer.
    «Was meinst du mit ‹Statuen zudecken›?», fragt sie.
    «Na, du weißt schon.» Nelson klingt fast ein wenig defensiv. «Wenn sie am Karfreitag in den Kirchen die Statuen zudecken.»
    Ruth fühlt sich an Pater Hennesseys Worte erinnert: Denken Sie nur an den Heiligen Geist. Für mich persönlich der wichtigste Teil der Dreifaltigkeit. «Ich kann glücklicherweise von mir behaupten, am Karfreitag noch nie in der Kirche gewesen zu sein», erwidert sie. Zumindest in keiner Kirche mit Statuen. Ihre Eltern betrachten Statuen als sündhaften Ausdruck bösen katholischen Götzendienstes. Ruth ist zwar auch kein allzu großer Fan des katholischen Glaubens, aber sie denkt doch gern an die Kirchen in Italien und Spanien zurück, die geheimnisvolle, weihrauchgeschwängerte Atmosphäre, die Statuen und Gemälde, die von Hunderten flackernder Kerzen erhellt werden. Das mag zwar götzendienerisch sein, ist aber in jedem Fall sehr viel spannender als der nackte Ziegelbau, in dem ihre Eltern sich mit ihrem Wiedererwecktsein auseinandersetzen, obwohl er eigentlich eher an eine öffentliche Toilette erinnert.
    «Oder eine Plinthe», lässt sich Tanya vernehmen, die mit gezücktem Notizbuch hinter Nelson aufgetaucht ist.
    «Was ist denn das nun wieder?», fragt Nelson gereizt.
    «Ein niedriger Sockel», erklärt Tanya. «Und das sieht aus wie eines von den Tüchern, mit denen sie im Museum die leeren Plinthen abdecken.»

30. Juni
Tag der Aestas
Zwei schwarze Krähen im Garten. Meine Glückszahl im Datum. Eine gerade Anzahl von Kernen in der Pampelmuse, die ich heute zum Frühstück aß. Als ich opferte (eine Amsel), ließ sich der Kopf süß und leicht abtrennen, und das Blut versickerte sofort im Boden und bildete den Buchstaben S. S wie sacrificium . Ein ausgesprochen gutes Omen.

[zur Inhaltsübersicht]
    28
    Um Punkt neun Uhr, nach einem ausgiebigen englischen Frühstück, steht Judy Johnson wieder im Eingangsbereich der klösterlichen Senioreneinrichtung. Sie erfährt, dass es Schwester Immaculata ein wenig bessergehe und Judy in einer Viertelstunde zu ihr könne, «sobald wir sie ein bisschen zurechtgemacht haben». Judy will gar nicht weiter darüber nachdenken, was genau das bedeutet, und nimmt im Wartebereich neben einer Gipsstatue der Jungfrau Maria Platz, die den Blick ekstatisch gen Himmel hebt.
    «Guten Morgen, Miss Johnson.» Die Oberschwester steht vor ihr, mit frischgestärktem Schleier, der Inbegriff professioneller Freundlichkeit.
    «Detective Constable Johnson», verbessert Judy.
    «Ich bitte um Entschuldigung.» Titel, denkt Judy, sind wichtig. Auch die Oberschwester würde all ihre Autorität einbüßen, wenn man sie als Miss Soundso anspräche; sie wäre dann nur noch eine x-beliebige seltsam gekleidete Frau mittleren Alters. Doch als Schwester Mary vom Heiligsten Herzen besitzt sie Macht, wenn auch nur in sehr begrenztem Umfang.
    «Schwester?»
    «Ja?»
    «Ich hatte mich gefragt … können Sie mir vielleicht sagen … was fehlt Schwester Immaculata denn?»
    «Was ihr fehlt?» Die Oberschwester zieht die Brauen hoch. «Sie hat Krebs, Detective Constable Johnson. Inoperabel. Sie hat nur noch wenige Monate, vielleicht auch nur noch Wochen zu leben.»

    Diesmal unterhält sich Judy mit Schwester Immaculata in einem Wintergarten, der auf den windgepeitschten Steingarten hinausgeht. Die Nonne ist merklich geschwächt, ihr Atem geht rasselnd,

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